Internationale Insolvenzstatistik 2007

Denn die einen sind im Dunkeln und die anderen im Licht (B. Brecht)
Kommentar zur Internationalen Insolvenzstatistik 2007

Wien, 27.05.08 - Während Österreich im Jahr 2007 wieder einen deutlichen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen verzeichnet - immerhin schon das zweite Jahr in Folge - zeigt sich in Westeuropa ein "anderes Bild": insgesamt zehn Rückgängen (inkl. Österreich) stehen Zunahmen in sieben Ländern gegenüber. Eine Zweidrittelgesellschaft der Insolvenzen sozusagen.

Was sind nun die Highlights der Insolvenzentwicklung 2007?

  • Größter Zuwachs: Gegenüber 2006 stiegen in Portugal die Insolvenzen um 63 Prozent. Generell ist das Wirtschaftswachstum schwach und das Land ist wie bisher auf die Transfers aus Europa angewiesen. Ein Anstieg der Insolvenzen war zu erwarten, wenn auch nicht unbedingt gleich in diesem Ausmaß.
     
  • Größter Rückgang: Ein Insolvenzrückgang in Italien von 48 Prozent gibt uns ein kleines Rätsel auf, das sich erst zu lösen beginnt, wenn man erfährt, dass im Juli 2006 ein neues Insolvenzrecht in Kraft getreten ist. Dieses neue Recht soll Unternehmenssanierungen erleichtern und auch den Kreis der insolvenzfähigen Subjekte ausweiten. Die Erfahrung zeigt aber, dass geänderte Gesetze zuerst einmal Verunsicherung erzeugen. Erst nach und nach lernt der Markt die neuen Regeln und im gleichen Ausmaß auch zu verwenden. Daher ist mit einem baldigen Anstieg der Insolvenzen in Italien zu rechnen.
     
  • Deutschland: Unsere Erwartungen an die „deutsche Wiederkehr" haben sich erfüllt. Offenbar ausgelöst durch die Weltmeisterschaft vor zwei Jahren hat Deutschland sein Selbstbewusstsein und seine Wirtschaftskraft wieder gewonnen. Der niedrige Dollar drückt zwar die Erfolge, kann aber dafür die Energiekosten noch in Schach halten.
     
  • Frankreich: Was hat sich dieses Land von seinem neuen Präsidenten Nicolas Sarkozy nicht alles erhofft - Strukturreformen und den Anschluss an das "schnellere Europa" beispielsweise. Doch daraus ist bis dato noch nichts geworden.
     
  • Dänemark: Das kleine skandinavische Land Dänemark - bekannt für Butter und Lego - hatte 2007 einen spürbaren Rückgang der Wirtschaft zu verkraften. Gepaart mit einem traditionell hohen Handelsbilanzdefizit hat das zu einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen geführt. Bezogen auf die Bevölkerung und vor allem die Anzahl der Unternehmen darf eine Zahl von 2.400 Insolvenzfällen aber als absolut niedrig eingestuft werden.
     
  • Großbritannien: Die ohnehin niedrige Insolvenzquote (Insolvenzen bezogen auf die Zahl der aktiven Unternehmen) sinkt weiter. Doch der Rückgang darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Großbritannien traditionell ein Land der zwei Geschwindigkeiten ist. Einerseits der Süden um die Metropole London - Drehscheibe der Finanzwelt mit einem seit einer Dekade anhaltenden Immobilienboom. Auf der anderen Seite der ehemals industrielle Teil des Landes, der in den Branchen Stahl, Kohle, Maschinenbau und Schiffbau Weltgeltung erlangt hatte, aber seit Jahrzehnten einen schrittweisen Niedergang verkraften muss.

Boomendes Russland bremst Insolvenzen in CEE
Mittlerweile sind es fast 20 Jahre, dass der Fall des Eisernen Vorhangs den Startschuss für die Aufholjagd der ehemaligen Planwirtschaften gab. Manche dieser Länder haben zumindest in einigen Teilen des Landes den Anschluss an Europa geschafft - jedenfalls was Produktivität und industrielle Infrastruktur anbelangt. Der slowakische Autocluster hat innerhalb weniger Jahre den steirischen Cluster in den Schatten gestellt. Deutsche pendeln nach Polen, da sie zu Hause in den grenznahen Städten und Dörfern keine Arbeit finden. Bei den Wachstumszahlen der jungen Volkswirtschaften Zentral- und Osteuropas darf natürlich nicht verwundern, dass die Zahl der Insolvenzen gering ist. Auch hier können Strukturdefizite der Wirtschaft durch das hohe Wachstum und die nach wie vor niedrigen Löhne noch einige Zeit mitgeschleppt werden. Zuletzt gilt natürlich auch hier: Wenn innerhalb von 20 Jahren das Insolvenzrecht dreimal substanziell umgebaut wird, hat das auf eine geordnete und routinierte Abwicklung der Insolvenzen vorerst keinen positiven Effekt. Denn alles Neue will mit Vorsicht ausprobiert und eingeführt werden.

Der Insolvenzrückgang von fast 50 Prozent in Osteuropa wird im Wesentlichen von Russland getrieben. Eine Volkswirtschaft, die erstmals in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt wird. Vordergründig darf es nicht verwundern, dass ein Land, dessen Exportgüter (Erdöl, Gas, Buntmetalle) auf den Weltmärkten derart boomen, einen Rückgang an Insolvenzen verzeichnet. Es darf aber getrost angemerkt werden, dass der Umbau einer derartig großen und nachhaltig von der Zentralwirtschaft geprägten Ökonomie nicht innerhalb von ein oder zwei Dekaden möglich sein wird. Der mit 64 Prozent unglaublich wirkende Rückgang kann daher nur als Signal für die Gerichte und Systeme gedeutet werden, die mit den Insolvenzen des Jahres 2006 derart ausgelastet waren, dass neue Verfahren erst einmal warten mussten.

Insgesamt können wir davon ausgehen, dass die Spielregeln der jungen Volkswirtschaften vor allem der österreichischen Nachbarländer, Polens und der baltischen Staaten bald westeuropäische Standards aufweisen werden. In absehbarer Zeit werden die Insolvenzzahlen in diesen Ländern weniger die Befindlichkeit der Justiz widerspiegeln als das zyklische Auf und Ab der Wirtschaft.

Zusammenfassung und Ausblick
Das Jahr 2007 war in allen beobachteten Ländern von der weiterhin anhaltenden Dollarschwäche geprägt. Selbst Länder mit traditionell hohen Lohnkosten wie Deutschland konnten ein gutes Wachstum und damit einhergehend rückläufige Insolvenzzahlen verbuchen. Doch spiegeln alle diese Zahlen eines nicht wider: die Subprimekrise in den USA und die dadurch ausgelöste Verunsicherung auf den Märkten - vor allem auch in Europa. Wenn ein Gesamtabschreibungsbedarf von nahezu USD 1.000 Mrd. kolportiert wird, der zu einem erheblichen Teil nicht in den USA, sondern in Europa anfällt, dann kann man sich ausmalen und zum Teil schon beobachten, wie destabilisierend sich diese Krise auswirkt.

Österreich ist hier zwar keine Insel der Seligen, aber dennoch doppelt verschont geblieben: Einerseits sind österreichische Banken traditionell auf den Interbankmarkt weniger angewiesen, weil sie ihre Einlagen in Kredite zu drehen versuchen, andererseits haben die großen heimischen Institute ihr Augenmerk verstärkt auf die Wachstumsmärkte im Osten Europas gelenkt. Natürlich erzeugt diese Expansion ihre eigenen Risikostrukturen, aber diese haben mit dem Markt für US-amerikanische Hypothekenkredite eben nichts zu tun.

Anders sieht dies natürlich in einigen europäischen Ländern aus: Nicht nur große Schweizer Institute verloren substanzielle Teile ihres Eigenkapitals, viele Banken verloren ihre Kreditwürdigkeit am Interbankmarkt, was sie in ihrer Vermittlerrolle zwischen Investoren und Kreditnehmern zusehends behindert. Wenn Risikomargen im Interbankgeschäft höher sind, als die Margen gegenüber den Kreditnehmern in der Wirtschaft, dann zeigt dies, welchem Stresstest diese Volkswirtschaften ausgesetzt werden. Es darf daher nicht verwundern, wenn in einigen Ländern die Insolvenzzahlen in die Höhe gehen.

Ob sich Österreich auch dann noch erfolgreich diesem Sog entziehen kann, ist derzeit jedenfalls fraglich. Deutschland und Italien bleiben nämlich weiterhin wichtige Exportmärkte für die heimische Wirtschaft - von den Touristen aus diesen Ländern ganz zu schweigen, aber nicht jedes Jahr ist Europameisterschaft. Die Wachstumsraten bei den Nächtigungen waren 2007 gut bis sehr gut. Aber auch hier werden die Bäume voraussichtlich kaum in den Himmel wachsen.

Die Zahlungsmoral ist in der jüngeren Vergangenheit auch in Österreich besser geworden. Es wäre in diesem Zusammenhang vollkommen kontraproduktiv, wenn die Regierung gesetzliche Beschränkungen der ersatzfähigen Verzugsschäden plante. Damit würde nur die Zahlungsmoral der Konsumenten und Unternehmen untergraben und letztlich die Liquidität der Wirtschaft belastet werden. Eine eigene österreichische Insolvenzwelle könnte leicht die Folge eines solchen Eingriffes sein.

Die detaillierten Zahlen West- und Osteuropas finden Sie im Download bereitgestellt.

Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans-Georg Kantner

1212048498906_KSV-InternationaleInsolvenzzahlen2007.pdf