Zwischen Krisenfrust und Aufschwungslust

Ein Kommentar von Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG, zur „Lage der Nation“.

Steigende Infektionszahlen, ein Lockdown nach dem anderen und eine geplante Impfpflicht sind das eine, wirtschaftliche Folgen, finanzielle Engpässe und auf der Kippe stehende Arbeitsplätze das andere. Österreichs Wirtschaft musste in den vergangenen zwei Jahren so einiges aushalten – ähnlich einer Achterbahnfahrt. Aber: Den heimischen Unternehmerinnen und Unternehmern ist es bis dato im Großen und Ganzen gelungen, die Corona-Pandemie durchzutauchen – zwar mit dem einen oder anderen Veilchen, zweifelsohne, aber immerhin.

Lockdown²: muss das sein?

Ohne ein Gesundheitsexperte zu sein, hatte jeder Lockdown aus medizinischen Blickwinkeln wohl seine Berechtigung. Vor allem im Hinblick darauf, die Gesundheitskrise zu managen. Gleichzeitig hatte jede Schließung aber auch wirtschaftliche Folgen mit sich gebracht. Die Frage lautet daher: Warum musste es jedes Mal überhaupt so weit kommen? Es ist unbestritten, dass der erste Lockdown nicht zu vermeiden war. So konnte sich das Land konsolidieren, um noch größere gesundheitliche wie wirtschaftliche Katastrophen von sich abzuwenden. Demnach waren Intensität und Dauer der Maßnahmen gerechtfertigt. Doch bereits damals ließ sich eines nicht verhindern: Geschlossene Geschäfte führten im stationären Handel zu massiven Umsatzeinbrüchen, was wiederum dem Online-Handel zugutekam – insbesondere ausländische Giganten wussten das zu nutzen.

Hilfen wichtig, um Sauerstoffzufuhr der Betriebe nicht zu kappen

Bislang hat mehr als die Hälfte (54 %) der heimischen Betriebe auf staatliche Finanzspritzen zurückgegriffen – wohl auch aus kaufmännischer Sorgfalt. Der Großteil davon tat dies vor allem in den ersten Monaten der Pandemie, als noch unklar war, wie es weitergeht. Heute wissen wir: Ein Drittel davon hätte auch ohne diese Hilfen wirtschaftlich „überlebt“. Trotzdem waren diese Überbrückungshilfen wichtig, damit Österreichs Wirtschaft nicht bereits nach wenigen Wochen Pandemie die Luft ausgeht. Zudem haben sie Zeit gewonnen, ihre zukünftige Ausrichtung zu definieren. Gleichzeitig haben Hilfen, wie etwa die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht oder Stundungsmodelle, geholfen, das Überleben der Firmen zu sichern – zumindest dann, wenn es einen kleinen Funken Hoffnung auf Gesundung gab. Nichtsdestotrotz plädieren wir als KSV1870 weiterhin dafür, rechtzeitig in eine Sanierung zu gehen, wenn keine reelle Chance auf einen positiven Fortbestand besteht – besser um 20 % reduzieren als später für immer zuzusperren. Nur so können Jobs und die Existenzgrundlage vieler Menschen gerettet werden.

Wirtschaftliche Einbußen unausweichlich

Die ersten Corona-beeinflussten Ergebnisse unseres Austrian Business Checks bestätigten die Situation: Eine stark rückläufige Geschäftslage, schwindender Optimismus und Umsatzeinbußen, wohin man schaut – einzelne Branchen, die „Krisengewinner“, ausgenommen. Und trotzdem haben Österreichs Unternehmen in der Situation ihr Möglichstes getan, um nicht baden zu gehen. Das bestätigt auch das KSV1870 Rating. Quer über alle Branchen hinweg gab es wenig Veränderung. Bedeutet: Selbst einzelne Branchen müssen für sich differenziert betrachtet werden. Verschiebungen in risikoreichere Stufen sind am ehesten bei den Jungunternehmern erkennbar, was der zumeist weniger stark ausgeprägten Eigenkapitalquote zuzuschreiben ist.  

Abrechnung: daran hakt es gewaltig

An dieser Stelle ist es aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass uns mit Voranschreiten der Pandemie immer mehr und immer größere Schwachstellen im Wirtschaftsgefüge vor Augen geführt wurden: Fachkräftemangel trotz hoher Arbeitslosenzahlen, Rohstoffmangel und massive Abhängigkeiten von globalen Lieferketten. Es gibt einiges zu tun, um das Ruder herumzureißen. Gleichzeitig hat sich bei der Krisenbewältigung gezeigt, wie viel Innovationspotenzial, Mut und Durchhaltevermögen hierzulande verankert ist.  

Aufschwung trotz Lockdown Nummer 4

Der jüngste Austrian Business Check zeigt, dass sich gerade im vergangenen halben Jahr einiges zum Besseren verändert hat. So zum Beispiel der Optimismus in Sachen Geschäftslage: Mittlerweile bewerten zwei Drittel der Betriebe ihre Situation mit „Sehr gut“ oder „Gut“ – das sind um 20 % mehr als im Frühjahr 2021. Detail am Rande: Die Umfrage erfolgte vor dem November-Lockdown. Zudem gehen 63 % davon aus, das laufende Geschäftsjahr mit einem Gewinn abzuschließen. In Zeiten der größten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg keine Selbstverständlichkeit. Und selbst die heimische Zahlungsmoral hat unter der Pandemie nicht gelitten, sondern sich weiter verbessert – ausgehend von einem ohnehin bereits hohen Niveau. Fast könnte man meinen „Ende gut alles gut“, wenn da nicht Lockdown Nummer 4 über Land und Leute hereingebrochen wäre. Noch dazu wäre dieser mit einem frühzeitigen und konsequenten Handeln vermeidbar gewesen.

Förderprogramm für Online-Giganten vs. regionaler Handel

Dass jetzt viele sagen, die aktuelle Situation ist einem Förderprogramm für die Amazons oder Zalandos dieser Welt gleichzusetzen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn obwohl auch die heimischen Unternehmen längst gemerkt haben, wie wichtig es ist, den Konsumenten das Einkaufserlebnis von der Couch aus so bequem wie möglich zu gestalten, liegt die internationale Messlatte gerade im E-Commerce besonders hoch. Erfreulich ist, dass heimische Betriebe insbesondere während der Pandemie in Webshops und digitale Services investiert haben, um Risiken im Online-Payment zu reduzieren – dabei sollte allerdings auch nicht auf die entsprechende Cyber-Sicherheit vergessen werden. Auch der KSV1870 hat mit SmartRiskService ein Tool gelauncht, mit dem E-Commerce-Unternehmen bonitätsgeprüfte Geschäfte mit Konsumenten in Echtzeit abschließen können.  

Unabhängig davon, ob wir im November und Dezember 2021 den letzten Lockdown erlebt haben oder nicht, was die Unternehmen brauchen, sind politische Stabilität, ein praxisnahes Bildungskonzept, das sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert und eine Strategie, die Österreichs Betriebe von globalen Lieferketten weitestgehend entflechtet. Klar, es gibt geografische Einschränkungen, aber dort wo Regionalität möglich ist, muss auch Regionalität drinnen sein. Schon vor dem neuerlichen Lockdown hing der wirtschaftliche Aufschwung an einem seidenen Faden, wir werden sehen wie die Betriebe das Kalenderjahr abschließen und ins neue Jahr starten.