Insolvenzstatistik I. Halbjahr 2011

Wien, 05.07.2011

Unternehmensinsolvenzen I. Halbjahr 2011

Das Insolvenzgeschehen in Österreich scheint Atem zu holen und im Zuge einer sich laufend verbessernden Konjunktur und Prognose die Insolvenzwelle des Jahres 2009 hinter sich zu lassen. Mit 1.657 eröffneten Verfahren waren es um 67 Unternehmen (oder 4 %) weniger, über die im ersten Halbjahr 2011 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, als im Vergleichszeitraum 2010. Die davon betroffenen 10.500 Dienstnehmer liegen ca. 4 % unter dem Vorjahr und die Verbindlichkeiten von EUR 1,2 Milliarden mit 25 % deutlich unter dem Vorjahr.

Anhand des Langfristtrends kann gesagt werden, dass das Schlimmste vorerst einmal vorbei ist. Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte des KSV1870: „Die Prognose für das Jahr 2011 (Anmerkung: plus 3 - 5 % an Insolvenzen) kann aus heutiger Sicht revidiert werden. Das Jahr 2011 wird - bei allen derzeit noch bestehenden Ungewissheiten tendenziell eher unter 2010 liegen als darüber. Das ist eine gute Nachricht!"

Unternehmensinsolvenzen

I. Halbjahr 2011
2011 2010 Veränderung
Eröffnete Insolvenzen 1.657 1.724 - 3,9 %
Nicht eröffnete Insolvenzverfahren 1.339 1.472 - 9,0 %
Gesamtinsolvenzen 2.996 3.196 - 6,3 %
Geschätzte Insolvenzverbindlichkeiten in EUR 1,2 Mrd. 1,6 Mrd. - 25,0 %

Ein Jahr Sanierungsverfahren in Österreich
Der Gesetzgeber des Jahres 2010 hat die Bestimmungen zur Unternehmenssanierung nachhaltig novelliert. Zu Motivation und Inhalt gab es im vergangenen Jahr viele Seminare, Enqueten und Presseaussendungen. Heute ist der erste Geburtstag des neuen Sanierungsverfahrens Anlass und Gelegenheit, erste statistisch-empirische Beobachtungen anzustellen. Dabei sind Fragen von Relevanz wie:

  • Ist die Zahl der Unternehmenssanierungen gesteigert worden, ganz nach dem Motto der letzten Justizministerin „Retten statt Ruinieren"?
  • Wird das neue Recht von Schuldnern so angenommen, dass bessere Erfolge erzielt werden können?
  • Können insbesondere die Gläubiger mit einer höheren Quotenbefriedigung rechnen?

Es ist vor allem die letzte Frage, die einerseits den Gläubigerschützer KSV1870 interessiert, deren Beantwortung aber auch einen Rückschluss darauf zulässt, ob die volkswirtschaftlichen Effekte der Reform IRÄG 2010 auch eintreten. Diese Effekte kann man kurz folgendermaßen skizzieren: Nicht die Insolvenz wirkt als Wertevernichter in der Volkswirtschaft, sondern die Verlustproduktion der Unternehmen vor der Insolvenz. In diesem Zeitzraum kaufen sie mit dem Geld der Gläubiger Ressourcen auf dem Markt zu, sagen wir 100 Teile, um dann daraus nur 95 oder 90 Teile Output zu erzeugen. Es wird also buchstäblich Geld vernichtet. Je früher diese Verlustproduktion oder Geldvernichtung beendet wird, desto mehr Substanz gibt es noch im Unternehmen für mögliche Sanierungen und desto höher fallen in der Folge die Quoten aus. Wenn diese also gestiegen sind, dann wäre ein Rückschluss zulässig, dass die Novelle gewirkt hat.

Ausblick:
Die Vorschau auf das gesamte Jahr 2011 ist, wie schon erwähnt, insofern zu revidieren, als nicht damit zu rechnen ist, dass die Insolvenzfälle gegenüber den Werten des Jahres 2010 noch stiegen werden. Sobald jedoch die Zinsen steigen, und das werden sie möglicherweise bereits im laufenden Jahr, wird sich der derzeit eher ruhig anmutende Insolvenzverlauf wieder etwas verschärfen. In den letzten 2,5 Jahren haben sich die österreichischen Geschäftsbanken massiv antizyklisch verhalten: Sie haben, wo es irgendwie argumentiert werden konnte, ihren Kunden liquiditätsmäßig unter die Arme gegriffen. Erfahrungsgemäß beenden die Banken im Angesicht des Aufschwunges dieses antizyklische Verhalten, sodass der KSV1870 nicht damit rechnet, dass die Insolvenzzahlen bald deutlich sinken werden; es ist vielmehr mit einem Stagnieren auf hohem Niveau zu rechnen. Die Passiva allerdings werden voraussichtlich deutlich unter dem Gesamtjahr 2010 bleiben, das durch die Insolvenz der A-TEC Gruppe mit insgesamt ca. EUR 1,3 Milliarden Verbindlichkeiten geprägt war.

Den vollständigen Kommentar sowie die Detailzahlen finden Sie im nachstehenden Download.


Privatkonkurse I. Halbjahr 2011

Im ersten Halbjahr 2011 sind die eröffneten Schuldenregulierungsverfahren um rund 7 % gestiegen. Fast 5.000 Personen strebten in den ersten sechs Monaten die Regulierung ihrer Schulden an.

Die Zahlen des KSV1870 zeigen, dass mit 4.917 eröffneten Privatkonkursverfahren fast 5.000 Menschen in Österreich Anstrengungen unternommen haben, ihre Schulden zu regulieren und ihren Gläubigern gleichmäßige Quoten zu bezahlen. Das ist ein Plus von
7,2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2010. Prozentuell führt Niederösterreich mit
25 % Zuwachs das Ranking an. Gemessen an den Fällen (absolute Zahlen) verzeichnet Wien mit einem Plus von 108 Fällen den stärksten Anstieg.

Privatkonkurse I. Halbjahr 2011

2011 2010 Veränderung
Eröffnete Schuldenregulierungsverfahren 4.917 4.588 +  7,2 %
Geschätzte Insolvenzverbindlichkeiten 565 Mio. 556 Mio. + 1,6 %

Schulden in der Regulierung
Der Gesamtbetrag der Schulden zum Halbjahr belief sich auf EUR 565 Mio., was einen nur geringfügigen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr darstellt. Der Durchschnittsbetrag der Schulden insolventer Personen betrug im Beobachtungszeitraum damit rund EUR 115.000,- pro Fall. Bedenkt man aber, dass ca. 33 % der Schuldner ehemalige Selbständige sind, deren Schulden deutlich über dem Wert der "echten Privaten" liegen, so ergibt sich etwa folgendes Bild:

  • Durchschnittsschulden der „echten Privaten" EUR 55.000,-
  • Durchschnittsschulden ehem. Unternehmer EUR 230.000,-

Das Oszillieren der Schuldensumme der Privatkonkurse von Jahr zu Jahr ist im Grunde auf einzelne ehemals Selbständige zurückzuführen, die fallweise mit besonders hohen Verbindlichkeiten in die Schuldenregulierung gehen.

Ausblick auf 2011 und beyond
Der Privatkonkurs als Instrument für natürliche Personen Schulden nur teilweise abzutragen, hat sich in den vergangenen 15 Jahren absolut bewährt. Er ist im Jahr 1995 eingeführt worden, um den im Jahr 1990 erhobenen ca. 80.000 insolventen natürlichen Personen in Österreich ein wirksames Entschuldungsinstrument zur Hand zu geben. Heute 15 Jahre nach Inkrafttreten und 75.000 Entschuldungsverfahren später ist die Zahl der materiell insolventen Personen jedoch nicht zurückgegangen, sondern sogar noch angestiegen. Der KSV1870 schätzt ihre Zahl auf 120.000 bis 150.000 Personen. Ursachen dafür waren die sog. Sparpakete der Regierungen der 90ger Jahre im Zuge des Beitrittes Österreichs zur EU - die ja in Wahrheit Belastungspakete waren - und ein davon ausgelöster sprunghafter Anstieg der Verschuldung der privaten Haushalte in der zweiten Hälfte der 90ger Jahre - eine Verschuldung, die rein statistisch mehr Insolvenzen erzeugte, als im gleichen Zeitraum von den Gerichten abgehandelt wurden. Es zeigt sich dabei aber auch, dass die Einführung des Privatkonkurses in Österreich keinen Tag zu früh erfolgte, da heute die Lage wesentlich bedenklicher wäre, wenn es ihn nicht gäbe. Die Bemühungen der Politik zur Erleichterung der Entschuldung dürfen dabei keinesfalls übersehen, dass es Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt braucht, um Schulden abzutragen. Nicht die Schwelle zur Entschuldung soll abgesenkt werden, sondern die Zuversicht der Menschen in ihre Verdienstmöglichkeiten, also ihre Entschuldungsmoral muss gestärkt werden.

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Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans-Georg Kantner, Leiter KSV1870 Insolvenz

1311314501767_KSV1870_Insolvenzstatistik-UnternehmenundPrivate_1HJ-2011.pdf