Ab in die Firma oder die neue Mobilität

Ab in die Firma oder die neue Mobilität
Warum der tägliche Weg zur Arbeit und zurück viele Arbeitnehmer belastet – oft sogar gesundheitlich –, wie diese Situation entschärft werden kann und warum davon letztlich alle profitieren: Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Umwelt.
 
Die Ballungsräume schrammen fast täglich zu den Stoßzeiten knapp am Verkehrskollaps vorbei, und Besserung scheint nicht in Sicht zu sein. Pendler machen zur Verkehrsspitze fast ein Drittel des Verkehrsaufkommens aus. Zahlreiche Studien weisen in diesem Zusammenhang auf hohe Stressbelastung und Gesundheitsprobleme bei Pendlern hin, wenn diese die Mobilität als Zwang oder unter permanentem Zeitdruck erleben. Der durchschnittliche Erwerbstätige verabscheut nichts so sehr wie einen morgendlichen Spießrutenlauf ins Büro. Der zeitaufwändige Weg in die Arbeit führt zu reduzierten Sozialkontakten; deutlich verringerte Produktivität und gesteigerte Konfliktbereitschaft sind die Folge. Als je angenehmer der Arbeitsweg empfunden wird, desto ausgeglichener und leistungsbereiter kommt man an der Arbeitsstätte an. Dem Arbeitgeber stellt sich hier eine Herausforderung, deren Bewältigung nicht nur dem Betriebsklima dient, sondern auch die Produktivität messbar steigern kann.
 
Pragmatik kontra Innovation. Für sinnvolle Maßnahmen gibt es freilich recht unterschiedliche Zugänge. Dazu zwei Beispiele: Rund 70.000 Erwerbstätige fallen jeden Tag im Wolfsburger VW-Werk ein. Wegen des allmorgendlichen Staus baute der Konzern 2.000 neue Parkplätze, einen Shuttle-Dienst und eine Autobahnabfahrt. Eine pragmatische Lösung des Stauproblems, die sowohl vom Aufwand als auch in ihrer starren Ausrichtung auf Individualverkehr kaum als Perspektive für zeitgemäße, umweltorientierte Raumplanung gelten kann. Faktoren, die den Stau ohne Bauaufwand verringert hätten, wie z. B. Telearbeit, Gleitzeit mit späterem Arbeitsbeginn oder finanzielle Abgeltung für einen nicht benutzten Firmenparkplatz auf Tagesbasis, sind dagegen bei VW derzeit nicht populär. BMW ging den entgegengesetzten Weg. In einem Versuch konnten 500 Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten und -orte individuell aushandeln. Drei Viertel der Mitarbeiter bewerteten das Privileg persönlicher Entscheidung als fundamentale Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Aufgrund positiver Resonanz hat BMW das Auswahlmodell inzwischen erheblich ausgeweitet.
 
Chance für moderne Arbeitgeber. Betraf das Thema Arbeitsweg in der Vergangenheit weitgehend die Privatsphäre des Arbeitnehmers, so erfordert der längst notwendige Paradigmenwechsel zu Stauvermeidung, Umweltschutz und Lebensqualität, dass sich alle Betroffenen einbringen. IT-Riese Bechtle bringt die Sache auf den Punkt: „Der Arbeitsplatz der Zukunft ist vernetzt, dezentral, mobil und – pointiert gesprochen – in den Taschen der Mitarbeiter. Das Büro wird zum Ankerplatz flexibler Arbeitsmodelle und zum Knotenpunkt verstärkter Kommunikation. Maßgeblich angetrieben wird dieser Wandel von den Möglichkeiten der Informationstechnologie.“ Effiziente Vorschläge und Maßnahmen zur Erleichterung des Arbeitsweges erfordern vom Arbeitgeber sowohl Problembewusstsein als auch Themenkompetenz sowie Kenntnis regionaler und überregionaler Förderungs- und Infrastrukturprogramme wie z. B. das intermodale Mobilitätsprojekt „eMORAIL“ der ÖBB oder die Initiative „klimaaktiv“ des Lebensministeriums (BMLFUW).
 
Alternativen in das Unternehmen integrieren.
Jede Maßnahme zur Erleichterung langer Arbeitswege wird durch höhere Einsatzbereitschaft und verbesserte Atmosphäre im Team mehr als ausgeglichen. Von essenzieller Bedeutung für rasche Fortschritte bei der Mobilitätswende ist dabei das Eingehen auf die persönlichen Präferenzen des Mitarbeiters. Der kompetente Arbeitgeber zeigt nicht nur Möglichkeiten auf, er analysiert ebenso die mobile Bandbreite des Mitarbeiters. Für viele Menschen ist alternative Mobilität absolutes Neuland. Fußwege, Radwege, E-Fahrräder, Mietfahrzeuge, Fahrgemeinschaften – hier muss der moderne Arbeitgeber aufklärend und beratend tätig werden. Wenn sich der Chef nicht selbst dieser Aufgabe widmen kann, empfiehlt sich die Einsetzung eines Mobilitätsbeauftragten, der dem Management in regelmäßigen Abständen über neueste Technologien, Initiativen und Förderungen der öffentlichen Hand berichtet und angedachte Innovationen im Rahmen buchhalterischer und steuerlicher Vorgaben für den Betrieb darstellen kann. Ideen und Lösungsansätze, die dem Unternehmen, dem Mitarbeiter und obendrein auch der Umwelt zugutekommen, gibt es zur Genüge – jetzt bedarf es nur noch der Abstimmung mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten des eigenen Betriebes.

Autor: Andreas Amoser

Die lange Liste der Lösungsansätze
 
Die Aufgabenstellung lautet: die Mobilitätswende vorantreiben, ohne Produktivität einzubüßen. Wie können sich Unternehmen einbringen? 
  • Laptop und Mobiltelefon können die Produktivität der Mitarbeiter auch während der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zumindest teilweise ermöglichen und erlauben ein beträchtliches Maß an Flexibilität bei Zugverspätungen, Zugausfällen und generell in der Dienstzeiteinteilung.
  • Flexible Arbeitszeiten, Gleitzeit und die Möglichkeit kurzfristiger Änderungen in der Diensteinteilung sind für Fernpendler sehr wichtig. Stauvermeidung und die Möglichkeit der Koordination mit privaten Erfordernissen erhalten bzw. erhöhen die Leistungsfreude des Mitarbeiters.
  • Lange Zugfahrten bei vorgegebenen Arbeitszielen an Computer/Telefon sollten zumindest teilweise als Arbeitszeit angerechnet werden. Die Dienstzeiteinsparung motiviert den Mitarbeiter und sorgt auch für ein Gefühl der Gleichberechtigung im Vergleich zu näher wohnenden Kollegen.
  • Für zu Fuß gehende oder Rad fahrende Mitarbeiter sollte ein entsprechender Sanitärbereich/Dusche mit Umkleidemöglichkeit zur Verfügung stehen. Jede Form körperlicher Aktivität sollte gefördert werden. Aktive Mitarbeiter sind gesünder, gesündere Mitarbeiter produktiver.
  • Vergünstigungen bei Fahrkarten und Zugang zu jeder Form öffentlicher oder alternativer Mobilität.
  • Nutzungsangebot für betriebseigene Elektrofahrräder zu geringer Miete oder bei Verzicht auf Fahrzeug.
  • Leistungsanreize für Mehrpersonentransport schaffen: Benzingutscheine, Kostenbeteiligung des Betriebes bei Anschaffung abgasneutraler Fahrzeuge mit verbundener Transportverpflichtung der Mitarbeiter.
  • Leistungsanreize bei Verzicht auf Firmenparkplatz. In Österreich noch nicht gesehen, in den USA ein sehr wirksamer Faktor zur Verringerung von Pendlerfahrzeugen. Mit tageweise abgerechneten Geldleistungen an den Mitarbeiter für den ungenutzten Firmenparkplatz lässt sich der Fahrzeug-Pendlerverkehr in der Größenordnung von 10 % bis 15 % verringern.
  • Einbindung abgasneutraler Firmenfahrzeuge in Mobilitätsprojekte der öffentlichen Hand.
  • Ladestationen für die Elektrofahrzeuge der Mitarbeiter.
  • Rentabilitätsanalyse bezüglich Subventionen bei der Umstellung des firmeneigenen PKW-Fuhrparks auf abgasneutrale Fahrzeuge. Mitarbeiterfahrzeuge auf Wunsch miteinbeziehen.
  • Beteiligung an Mietkosten für Kleinwohnung/Wohngemeinschaft am Arbeitsort. Angebot betriebseigener Unterkünfte zu geringer Eigenaufwandmiete.
  • Telearbeit in Außenstellen oder Home Office neu bewerten.
  • Bei der Neuerrichtung des Firmensitzes sollte der Standort mit Bedacht auf öffentliche Verkehrsverbindungen und die Nähe zu Wohngebieten gewählt werden.
Pendlerverkehr: Lückenschluss mit vereinten Kräften
 
Auch wenn sich Pendler zunehmend öffentlicher Verkehrsmittel bedienen, stellt sich oft – speziell in ländlichen Gegenden – die Frage, wie man die Lücke zwischen Haustür und Bahnhof bzw. Busstation schließt. Wo es für einen Fußmarsch zu weit ist, bietet sich die Nutzung von Leihrädern oder Carsharing an. Einzelne Systeme sind bereits angedacht. Beim Projekt „Integrated e-Mobility Service for Public Transport“ steht umweltschonende Mobilität für den Pendlerverkehr im Vordergrund. Erfordernisse individueller Alltagsmobilität, Schnittstellen mit Mietwagenanbietern sowie gewerbliche Mobilitätsaufgaben sind in die Gesamtkonzeption eingebunden. Intermodale Elektromobilität vom Schienenverkehr über E-Lieferwagen und E-PKW bis zum Elektrofahrrad soll eine ebenso kostensenkende wie verkehrsentlastende und umweltschonende Alternative zum privaten Zweit- oder Drittfahrzeug offerieren.
 
Die individuelle Kombination und Buchung von Fahrkarte, Fahrzeug und zusätzlichen Services kann Mobilitätsaufgaben im Nahbereich weitgehend abdecken und garantiert Transportkomfort ohne Fahrzeugeigentum. Diesen Weg geht etwa die unter den Fittichen der ÖBB entstehende integrierte Verkehrsdienstleistung „eMORAIL“. Laut Projektleiter Helmut Wolf soll „eMORAIL“ bis 2020 den Kundenzugriff im ländlichen Raum landesweit abdecken: „Vorerst sind wir einmal im südöstlichen Niederösterreich präsent.“ Darüber hinaus werden in etlichen Städten Schnittstellen mit Carsharing-Anbietern eingerichtet, wie z. B. dem E-Fahrzeug-Anbieter EMIL in Salzburg. Großer Wert wird auf schnellen, flexiblen und selbstverständlich freien Zugang zu relevanten Daten (Buchungszeiten, Reichweiten, Öffi-Informationen in Echtzeit etc.) via Smartphone, Tablet usw. gelegt.
 
Essenziell für den Erfolg einer solchen integrierten Mobilitätsplattform ist selbstverständlich eine hohe Auslastung der zur Verfügung stehenden Leihmobile. Schließlich kann ein Carsharing-Fahrzeug nach aktuellen Studien mehr als zehn Privatfahrzeuge von der Straße ziehen. Die von „eMORAIL“ eingesetzten E-Mobile werden daher tagsüber durch Post, EVN und lokale Zustelldienste betrieblich genutzt.
 
Mehr Infos unter www.klimafonds.gv.at .
 
Tipp für Unternehmen: Wenn es noch nicht ganz ohne PKW geht!
 

Was Österreichs größte Kraftfahrorganisation - der ÖAMTC - den Wirtschaftstreibenden des Landes und deren Mitarbeitern anbietet.
 
Die Firmenmitgliedschaft. Zu einem Pauschalbeitrag – für sämtliche Fahrzeuge des Firmenfuhrparks – profitieren Unternehmen von all den Leistungen, die auch in einer individuellen Mitgliedschaft enthalten sind. So sorgt etwa bei einer Panne oder einem Unfall der Nothilfe-Service rund um die Uhr für Pannenhilfe, Abschleppung und das kostenlose ÖAMTC-Clubmobil, damit die Fahrt zum Tagesziel fortgesetzt werden kann. Auch in Rechtsfragen unterstützen die Juristen des Clubs. Überdies gibt’s mit der Firmenmitgliedschafts-Clubkarte bei ungezählten ÖAMTC-Vorteilspartnern beachtliche Preisvorteile.
 
Der Firmen-Schutzbrief. Noch besseren Schutz als die „normale“ Firmenmitgliedschaft bietet der ÖAMTC-Firmen-Schutzbrief – speziell, wenn Mitarbeiter öfter im Ausland unterwegs sind. Dieses Sicherheitspaket gilt in Österreich und ganz Europa, in der Russischen Föderation, in den außereuropäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten sowie auf allen Mittelmeer-Inseln, den Kanarischen Inseln, den Azoren und auf Madeira. Auf Wunsch kann der Schutz auf die Familie der Mitarbeiter ausgedehnt werden.

Diesen und weitere Artikel finden Sie im forum.ksv 3/2016.