Rechtstipp: Anlegerrecht

Mitverschulden beim Anlegerschaden

Sachverhalt: Der Beklagte ist Finanzberater, die Klägerin eine im Finanzbereich unerfahrene Anlegerin. Im Mai 2012 übergab der Beklagte der Klägerin ein „Ansparkonzept“, von dem er behauptete, es erfülle die Anforderungen der Klägerin (risikoavers) „zu 98 %“. Jenes Konzept enthielt ua eine deutsche Unternehmensbeteiligung, die als Dachfondsprodukt aufgebaut war und bei der ein Totalverlustrisiko bestand. Der Beklagte klärte die Klägerin mündlich nicht über dieses Risiko auf. Die Klägerin hätte die Investition nicht getätigt, wenn sie von dem Risiko gewusst hätte. Unmittelbar vor dem Vertragsabschluss wurden der Klägerin umfassende Unterlagen überlassen, in denen das Risiko näher thematisiert wurde. Sie unterfertigte auch Bestätigungen, denenzufolge sie über das Risiko aufgeklärt wurde. Diese Unterlagen und Bestätigungen wurden von der Klägerin jedoch nicht weiter beachtet, sie verließ sich alleine auf die mündlichen Angaben des Klägers. Die Klägerin verlor ihr Investment und klagte den Finanzberater, wobei dieser ua ein Mitverschulden der Klägerin einwendete, da in den schriftlichen Unterlagen auf das Risiko hingewiesen worden sei. Das Erstgericht nahm ein Mitverschulden der Klägerin im Ausmaß von einem Drittel an, der OGH ging von keinem Mitverschulden aus und sprach der Klägerin im Wesentlichen den gesamten Klagsbetrag zu.

Entscheidung: Grundsätzlich trifft Finanzberater bei schuldhafter Fehlberatung eine vertragliche Schadenersatzpflicht. Abhängig von einem allfälligen Mitverschulden des Anlegers, kann sich der Schadenersatzanspruch aber verringern. Im konkreten Fall war strittig, ob die Klägerin deshalb ein Mitverschulden trifft, weil sie nicht in die übergebenen Unterlagen Einsicht genommen hat. Ein Anleger – wie hier die Klägerin – muss laut OGH aber grundsätzlich nicht damit rechnen, dass die ihm übergebenen Unterlagen in wesentlichen Punkten von den mündlichen Zusicherungen des Beraters abweichen. Anderes würde nur gelten, wenn eindeutige Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Beratung vorlägen, wie zB ein irreal hohes Gewinnversprechen (so in einer anderen Entscheidung des OGH, wo dem Anleger eine 40%ige Rendite versprochen wurde). Weil solche Umstände im konkreten Fall aber nicht vorlagen, die Klägerin sehr unerfahren und die Fehlberatung durch den Beklagten gravierend war, verneinte der OGH jegliches Mitverschulden der Klägerin. Der Beklagte musste der Klägerin daher den Verlust grundsätzlich in voller Höhe ersetzen.

OGH 28.9.2017, 2 Ob 133/16x