Pleitenursachen 2010: Weniger Vorsatz, mehr internes Chaos

Woran lag es? Die Frage nach den Insolvenzursachen klärt Jahr für Jahr der KSV1870 für die Pleiten des Vorjahres. 44 Prozent (2009: 42 %) der im Krisenjahr 2010 insolvent gewordenen Unternehmen haben schwerwiegende interne Fehler gemacht. Seit 1990 hat sich diese Insolvenzursache aufgrund von fehlendem wirtschaftlichen Know-how mehr als verdoppelt. Jede fünfte Insolvenz hat aber auch externe, also aktuell etwa krisenbedingte Auslöser. Persönliches Verschulden im Sinne von Betrug, Spekulation oder überhöhten Privatentnahmen ist mit 6 Prozent (2009: 9 %) erfreulicherweise auf einem Tiefststand.

Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter, die Pleite aber ist zumeist Vollwaise. Niemand will es am Ende gewesen sein. Aus diesem Grund erstellt der KSV1870 jährlich eine Analyse und schaut den insolvent gewordenen Unternehmen gewissermaßen in die Kochtöpfe. Diese „Häferlguckerei" wird in jedem eröffneten Insolvenzverfahren von erfahrenen Insolvenzreferenten vorgenommen. Die Ursachen der 6.376 Insolvenzen des Vorjahres wurden zu einem statistischen Block zusammengefasst. Dadurch soll geklärt werden, in welchem Bereich die überwiegenden Schwachstellen der Unternehmen waren. Kurzum: Lag es am Produkt, den Mitarbeitern, einer falschen Finanzierungsstruktur, oder war ein nicht zu beherrschender Umstand verantwortlich für die Pleite?

Folgende Hauptkategorien werden dabei unterschieden:

Insolvenzursachen

1990 2000 2005 2009 2010
persönliches Verschulden 17 % 7 % 10 % 9 %   6 %
Fahrlässigkeit 16 % 27 % 22 % 15 % 14 %
innerbetriebliche Ursachen 21 % 33 % 38 % 42 % 44 %
Kapitalmangel 21 % 19 % 13 % 14 % 13 %
externe Ursachen/Verlustquellen 20 % 11 % 13 % 18 % 19 %
sonstige 5 % 3 % 4 % 2 % 4 %


Unvorhersehbares auf dem Vormarsch
Die Analyse und der Vergleich mit den Vorjahren zeigt die zunehmende Bedeutung der außerbetrieblichen, also krisenbedingten Ursachen. Tatsächlich sind viele Entwicklungen nicht beherrschbar, da die Unternehmen durch den zunehmenden Wettbewerb dazu gedrängt werden, mit immer schmäleren Margen zu operieren und in ihren Geschäftsmodellen immer größere Risiken einzugehen. Wer in guten Zeiten zu wenig produziert, wird den Tag nicht erleben, an dem er sich freuen könnte, keine Überkapazitäten zu haben, die reduziert werden müssen. Zurückhaltung führt also nicht zum Erfolg.
Wir tendieren dazu, die Fähigkeit der Unternehmen zu überschätzen, auf Entwicklungen frühzeitig zu reagieren - das können nur erstklassig geführte und solide finanzierte Unternehmen, also jene, in deren Laboranlagen die Zukunft „ertüftelt" und in deren Forschungsabteilungen die Innovation gezeugt wird.

Innerbetriebliche Fehler: Unfähigkeit oder Chaos
Ein wesentlicher Faktor ist und bleibt besonders relevant für die Analyse der Insolvenzfälle: Fehler/Verlustquellen im innerbetrieblichen Bereich. Wenn 44 % der eröffneten Insolvenzverfahren des Jahres 2010 auf innerbetriebliche Fehler und Verlustquellen zurückzuführen war, dann erkennen wir darin das Wirkungsprinzip der Unternehmensführung. Diese verantwortet alles, was im Unternehmen geschieht oder unterbleibt. Was sind nun typische Fehler, die zu beobachten sind:

• Organisationsmängel: Aufgeblähter Apparat, unklare Zuständigkeiten und Abgrenzungen, nicht ausgeschöpfte interne Potenziale hinsichtlich Produktivität oder Kostensenkung: Jedes Unternehmen muss laufend seine Prozesse verbessern. Nur so kann es sich bei dem gegebenen Preisdruck am Markt behaupten.

• Keine zeitgemäße Buchführung: Viele österreichische Unternehmer sind gut im Handwerklichen, die Buchhaltungsarbeit überlassen sie aber gerne Steuerberatern/Bilanzbuchhaltern. Von diesen können sich österreichische Unternehmer aber nicht erwarten, dass sie ihnen Tipps in strategischer Planung oder Unternehmensführung geben. Dies, obwohl der Steuerberater eigentlich als Erster sehen müsste, wenn die Zahlen nicht mehr stimmen.

• Mangelnde strategische Planung: Die Pläne - so es überhaupt welche gibt - orientieren sich zu stark an den operativen Kosten (sogenanntes „cost-driven budgetting"), statt an realistischen Markteinschätzungen und der Beobachtung der eigenen Kunden. So werden laufend zu optimistische Umsatzpläne erstellt, statt realistisch den Markterfordernissen zu begegnen.

• Operative Planungsfehler: Durch Schönwetterplanung beeinflusst, geht ein Teil der Produktion in das Lager, das bald zu einer „Output-Halde" wird. Dadurch wird Liquidität gebunden, die produzierte Ware veraltet rasch und verliert damit an Wert. Aufträge werden über den Preis gewonnen, was oft zu einer vorsätzlichen Verlustproduktion führt, statt Unternehmensgröße und -kosten den Gegebenheiten anzupassen.

• Ignorieren der Zahlungsmoral: In Zeiten intensiven Wettbewerbs gehen oft die guten Zahler zur billigeren Konkurrenz und es bleiben die schlechten Zahler als Kunden übrig. Falsche Scheu vor einem effektiven Mahnwesen ist nicht selten der erste Schritt in die Illiquidität. Kunden, die bei einem Unternehmen lang zurückliegende überfällige Rechnungen haben, sollten nicht mehr beliefert werden. Denn kein Auftrag kann so kalkuliert sein, dass er nicht irgendwann auch bezahlt werden muss.

• Vertriebsdefizite: Kundennähe ist kein Zauberwort, sondern harte Arbeit. Und sie führt eher ans Ziel, als ständige Preisnachlässe. Kunden sollten keine Wechselwähler sein, die immer nur beim „billigen Jakob" kaufen. Preiszugeständnisse binden Kunden nicht auf Dauer, das tun nur gute Produkte und eine noch bessere Kundenbetreuung.

• Konflikte unter Eigentümern: Vor allem bei Familienbetrieben kommt es häufig vor, dass schwierige Zeiten zu internen Spannungen und Zerwürfnissen führen. Sachbezogene Diskussionen fallen dann besonders schwer, da persönliche Motive und Emotionen einen hohen Stellenwert einnehmen.

Kapitalmangel oder die Angst vorm Investor
Österreichische Unternehmen leiden chronisch an Kapitalmangel. Im Langzeitvergleich gegenüber 1990 oder 2000 hat sich diese Situation zwar spürbar gebessert, dennoch sind 13 Prozent aller Insolvenzen auf Kapitalmangel zurückzuführen. Dies, obwohl Eigenkapital die wichtigste Versicherung dagegen ist, dass ein Fehler gleich das gesamte Unternehmen in die Tiefe zieht. Eigenkapital ist der Ballastkiel des Unternehmens: In guten Zeiten mag es als Behinderung empfunden werden, aber in schlechten Zeiten trägt es enorm zur Stabilisierung bei. Österreichische Unternehmer haben vielfach noch nicht akzeptiert, dass sie Eigenkapital benötigen und dieses auch nur in guten Zeiten an Land ziehen können. Geld gibt es in Österreich weiterhin in Hülle und Fülle, der Bankkredit hat Tradition. Solange die Ergebnisse gut und die Cashflows solide waren, hielten es die Unternehmer selten für nötig, Eigenkapitalgeber ins Boot zu holen.


Zinsen werden steigen
Insolvenzen sind stark an Kapital gekoppelt und das heißt in Österreich auch an Bankkredite, und damit auch Zinsen und Konjunkturverläufe. Nur wer Schulden hat, zahlt Zinsen - wer hohe Schulden hat, für den werden sie rasch zum bestimmenden Kostenfaktor. Steigen die Zinsen an, was historisch betrachtet immer wieder passiert, dann wird es schwer. Ergebnis: Pleite. Jede Konjunkturdelle beutelt die welken Blätter von den Bäumen - die Nachlässigkeiten und sogar liebenswürdigen Schwächen der Unternehmen werden dann zum Problem. Zinsniveau und Konjunktur sind wie Blitz und Donner der Wirtschaft: erst der Blitz und dann der Donner. Erst springt die Konjunktur an und dann die Zinsen. Die Konjunktur sehnen alle herbei - vielleicht ist sie schon da. Hohe Zinsen werden kommen.

Finanzierung: Kein Interesse am Wandel
Warum sind Investoren so unbeliebt? Weil sie Fragen stellen, mitbestimmen und überdies ein Stück vom Kuchen erhalten wollen, den der Unternehmer gebacken hat. Jedes Unternehmen, das interessant für Eigenkapitalinvestoren ist, erhält ohne Problem auch einen Bankkredit, und zwar schneller und wesentlich billiger. Die Bank begnügt sich mit einem vereinbarten Zinssatz, der in guten Zeiten bekanntlich weit unter der tatsächlichen Unternehmensrendite liegt (Leverage Effekt) und regiert nicht mit. Hier sitzt das Übel der heimischen Unternehmensfinanzierung. Über Jahrzehnte hatten die Geschäftsbanken gar kein gesteigertes Interesse daran, die Unternehmer vom Kredit weg zu beraten, denn er war ja ein gutes Geschäft für die Bank. Auch die Kreditförderung der öffentlichen Hand hat das Ihre dazu getan, dass die Unternehmen bei Finanzierungsfragen immer nur an Kredit denken. Viel wäre von Seiten der Politik da noch zu tun:

• Abschaffung der vielen sinnlosen Kreditförderungssysteme zugunsten einiger nachhaltig geförderter Eigenkapitalinstrumente z. B. Übernahme von Gründungskosten

• Abschaffung der unseligen Gesellschaftssteuer

Ein Sack voll guter Ratschläge
Die Führung eines Unternehmens ist keine Wissenschaft, sondern ein Handwerk. „Trial and Error" bestimmen daher das Wirtschaften im Tagesgeschäft in erstaunlich hohem Maß. Nicht jeder Frage kann auf den Grund gegangen werden: Ein rasch gelegtes Offert hält den Ball in der Luft - ein zu spät gelegtes nützt niemandem etwas. Aber es kommt nicht nur auf die Unternehmer selber an. Auch die Wirtschaftspolitik muss steuerliche und rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die Gründungen und das Wirtschaften leichter machen. Und sie muss für die Infrastruktur an Verkehr, Energie und Bildung sorgen. Die Unternehmer in Österreich sind schon in der Zukunft angekommen. Die Politik leider vielfach noch nicht.

Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans-Georg Kantner, Leiter KSV1870 Insolvenz

Im folgenden Download finden Sie die Insolvenzursachen 2010.

1305704588602_Insolvenzursachen_2010.pdf