Wien, 07.07.2009
Die „kreativen Zerstörungsprozesse" (zit. J. Schumpeter) schreiten voran - das Tempo ist aber vorläufig nicht beängstigend.
Die Unternehmenspleiten sind im ersten Halbjahr 2009 gegenüber 2008 um fast 10 % gestiegen. Die davon betroffenen Schulden explodierten fast auf das Doppelte und die betroffenen Arbeitsplätze stiegen um rund 45 % gegenüber der Vergleichsperiode.
Ist die Wirtschaftskrise also in Österreich angekommen?
Seit mittlerweile 9 Monaten fragen sich die Österreicher - Wirtschaftstreibende, Politiker oder aber bloße Zeitungsleser - wie und wann die Krise unser Land erfassen wird. Und seit ebenfalls 9 Monaten haben wir subjektiv das Gefühl, dass die Probleme weit geringer ausfallen, als wir es erwartet hatten. Die Insolvenzzahlen geben dem oberflächlich betrachtet sogar Recht. Die Nachrichten von den Weltbörsen verheißen laufend eine Verfestigung des Optimismus und zwar kleine, aber möglicherweise nachhaltige Kurserholungen, sodass eine Bodenbildung (ein Spitzenkandidat für das Unwort des Jahres 2009) schon vielfach beobachtet werden will. Zeitgleich sprechen Wirtschaftsforscher extrem zurückhaltend über die erwartete Konjunkturentwicklung der nächsten 12 - 24 Monate; zu turbulent sind die Entwicklungen und damit zu unzuverlässig die sonst verwendeten Lackmustests für die Wirtschaft.
Tatsächlich ist die Wirtschaft eines Landes und letztlich der Welt in weit stärkerem Maße von der Psychologie abhängig, als man gemeinhin annehmen würde. Die darunterliegenden Zyklen sind zu lange bekannt, als dass sie übersehen oder vergessen werden könnten - jede verzögerte Bewegung - egal ob hinauf oder hinunter - erzeugt jedoch psychologische Schwingungen und Verstärkungen. Es gibt Börsenhysterien im Aufschwung wie im Abschwung, aber auch „Reiter-über-den-Bodensee Effekte" in Erkenntnis einer krisenhaften Situation. Überreaktion mit einem Wort. Und genau diese Überreaktion erzeugt die Verluste - Überinvestition genauso wie überhastetes Desinvestment. Es hängt tatsächlich die Wirtschaft von der seelischen und emotionalen Verfassung ihrer Teilnehmer ab.
Dies erkennend haben die Politiker richtig reagiert und ihren Beitrag zu einer technischen aber vor allem auch emotionalen Stabilisierung geleistet. Es waren rasch wirkende Aktionen dabei (z.B. das Stabilisierungspaket für Einlagen bei Banken), aber auch mittel- und langfristig wirkende Maßnahmen, deren Einsetzen wir noch feststellen müssen. Zum Beispiel eine moderate Steuerentlastung im Bereich der Einkommensbesteuerung, die gepaart mit einer schwachen Inflation zu einer Stärkung der Realeinkommen führt. Soweit so gut. Doch die Frage bleibt stehen, ob die Krise in Österreich angekommen ist.
Unternehmensinsolvenzen I. Halbjahr 2009 |
2009 | 2008 | Veränderung | |
Eröffnete Insolvenzen | 1.904 | 1.619 | + | 17,6 % |
Mangels Masse abgewiesene Konkursanträge | 1.567 | 1.549 | + | 1,2 % |
Gesamtinsolvenzen | 3.471 | 3.168 | + | 9,6 % |
Geschätzte Insolvenzverbindlichkeiten in EUR |
2,0 Mrd. | 1,1 Mrd. | + | 81,8 % |
Branchenscan
Die Analyse der betroffenen Branchen macht schon auf den ersten Blick recht deutlich, wo die Probleme der Wirtschaft zuerst „eingeschlagen" haben:
-
- Maschinen und Metall
- Papier/Druck
- Glas/Keramik
- Textilwirtschaft/Leder
- Chemie/Pharmazie
-
Holz/Möbel
Ausblick auf das Gesamtjahr 2009
Manche wichtigen Bereiche der österreichischen Wirtschaft sind bisher aus dem Sog der Krise herausgehalten worden. Eine wichtige Rolle spielten dabei naturgemäß die Geschäftsbanken, die bekanntlich in schwierigen Zeiten besonders gefordert sind, die Liquidität der Unternehmen aufrecht zu erhalten, dabei aber auch zu entscheiden, wem Unterstützung gegeben wird, und wem nicht. Gelingt es den größeren Unternehmen, sich kapazitätsmäßig an die geänderten Verhältnisse anzupassen, so werden die Auswirkungen keinesfalls dramatisch ausfallen. Dort, wo schon in der Vergangenheit strukturelle Mängel in den Betrieben vorlagen (Absatzprobleme, Finanzierungsschwäche oder Ertragsprobleme) wird es daher in den nächsten Monaten verstärkt zu Ausleseprozessen kommen. Gute und im Kern erfolgreiche Unternehmen werden aber diese Probleme mit Unterstützung ihrer Finanzierungspartner in den Griff bekommen.
Aus heutiger Sicht kann daher die im Dezember 2008 formulierte Erwartung des KSV1870 an das Insolvenzgeschehen (plus 12-15 % gegenüber 2008) aufrechterhalten werden. Die Passiva und die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze werden allerdings stärker zunehmen, wie sich dies zum Halbjahr ja bereits abzeichnet.
Die vollständige Insolvenzanalyse inkl. Detailzahlen finden Sie im untenstehenden Download bereitgestellt.
Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans Georg Kantner, Leiter KSV Insolvenz
Insolvenzstatistik Unternehmen Erstes Halbjahr 2009