Brennpunkt Zukunft: Wo bleibt das Feuer?

Vorsicht, Zurückhaltung, Kostenmanagement: Während die heimischen Unternehmen ihren Fokus auf das Verwalten von Bestehendem legen, werden die Themen der Zukunft häufig vernachlässigt. Weder ein professionelles Cybersecurity-Management noch eine sinnvolle Nachhaltigkeitsstrategie stehen auf der Agenda weit oben. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Text: Markus Hinterberger

Haben Österreichs Unternehmen Angst vor der Zukunft? Spitzfindige Zungen würden an dieser Stelle behaupten: Nein, aber sie beschäftigen sich auch kaum mit ihr. Zumindest wenn es nach den aktuellen Ergebnissen der Austrian-Business-Check-Umfrage des KSV1870 unter rund 1.300 Betrieben geht. Das gilt freilich nicht für alle Unternehmen, doch zeigen die Ergebnisse eines sehr deutlich: Jenen Themenbereichen, die zukünftig einen starken Einfluss darauf haben werden, ob ein Betrieb erfolgreich sein wird oder nicht, wird aktuell zu wenig Beachtung geschenkt. Das muss sich schleunigst ändern. Wenn man den Zahlen Glauben schenken darf, dann geht es derzeit mehr denn je ums Absichern und weniger um die großen Brocken der Zukunft, zu denen die betriebliche Cybersicherheit oder der Nachhaltigkeitsaspekt definitiv zählen. In Zeiten, die massiv von multiplen Krisen geprägt sind, mag es nachvollziehbar sein, dass sich Unternehmer zunächst mit dem kurzfristigen Überleben beschäftigen. Das ist auch eine Frage der kaufmännischen Sorgfalt. Diese verlangt es jedoch auch, an die mittel- und langfristige Zukunft zu denken. Und damit auch an Arbeitsplätze und die Existenz der Menschen – gerade in so teuren Zeiten, wie wir sie seit rund einem Jahr erleben.

Geschäftslage mehrheitlich positiv, aber stagnierend.

Trotz schwieriger Rahmenbedingungen berichten die heimischen Unternehmen von einer positiven Geschäftsentwicklung. Mit aktuell 54 %, die die eigene Geschäftslage als „sehr gut“ oder „gut“ bezeichnen, bewegt sich die Wirtschaft auf Vorjahresniveau. Auch wenn den Betrieben insbesondere die steigenden Energiekosten, Preiserhöhungen bei Lieferanten und die Inflation zugesetzt haben. Dabei zeigt sich deutlich: Die Geschäftslage fällt je nach Branche sehr unterschiedlich aus. Insbesondere im Handel, wo laut Austrian Business Check lediglich 37 % ihre derzeitige Situation positiv bewertet haben, gestaltet sich die Situation herausfordernd. Ganz im Gegensatz etwa zum Bereich Gastronomie & Beherbergung, wo in Sachen Geschäftslage ein regelrechter Aufschwung von 38 % auf 65 % zu verzeichnen ist. 

Umsätze zeigen nach oben.

Viele Unternehmen fokussieren derzeit so stark auf ihre Kosten, dass ‚Gamechanger-Faktoren‘ häufig außen vor bleiben.

Der grundsätzlich positive Trend zeigt sich auch an der Umsatzfront: Bei 55 % haben sich 2022 die Umsätze verbessert, und auch für das heurige Jahr rechnen immerhin 33 % mit einer Verbesserung – angesichts der aktuellen Multikrisensituation ein positives Ergebnis. Ähnlich gestaltet sich die Entwicklung bei der Produktnachfrage, wo 55 % diese als „sehr gut“ oder „gut“ bezeichnen. Obwohl allgemeine Wirtschaftsprognosen für das zweite Halbjahr nach oben zeigen, sind die Betriebe für 2023 vorsichtig: 36 % erwarten eine stärkere Nachfrage – im Vorjahr waren es noch 49 %. Jetzt kommt jedoch das große Aber: „Wo viel Licht, da auch viel Schatten – und dieser kann mit dem Thema Zukunft benannt werden. Viele Unternehmen fokussieren derzeit so stark auf ihre Kosten, dass ‚Gamechanger-Faktoren‘ häufig außen vor bleiben“, so Ricardo-José Vybiral, Vorstand der KSV1870 Holding AG.

Großer Aufhol­be­darf: nur jeder fünfte Betrieb mit Cybersecu­rity-Fokus.

Wie die aktuelle KSV1870 Umfrage zeigt, pflegen 35 % der heimischen Betriebe Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen der kritischen Infrastruktur. Bei einem Drittel davon macht der jeweilige Umsatz zwischen 51 und 100 % des Gesamtumsatzes aus. Für sie wird das Inkrafttreten der EU-NIS2-Richtlinie im Herbst 2024 erfolgsentscheidend. Denn bis dahin müssen sowohl Betriebe der kritischen Infrastruktur als auch deren Geschäftspartner nicht nur ausreichend Maßnahmen zum Schutz vor Cyberattacken implementiert haben, sondern diese auch nachweisen. Passiert das nicht, liegen sämtliche Geschäfte zwischen diesen Unternehmen auf Eis. „Wenn sich die Unternehmen nicht rechtzeitig um die Implementierung entsprechender Sicherheitsmaßnahmen kümmern, könnte die Nichterfüllung der neuen Richtlinie für 10 % das Aus bedeuten. Hier brennt der Hut lichterloh“, so Vybiral. Umso besorgniserregender ist es, dass aktuell nur 21 % der Unternehmen auf ihre Cybersicherheit fokussieren. Bei rund 60.000 Delikten von Internetkriminalität allein im Vorjahr, wie das Bundeskriminalamt unlängst publiziert hat, ist das ein sicherheitstechnisches Harakiri. Weiters befassen sich 40 % lediglich ein „wenig damit“, was im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial zu wenig ist. Darüber hinaus ignorieren 15 % das Thema konsequent, obwohl sie den Bedarf erkannt hätten. „Diese Ergebnisse sind im Hinblick auf die neue Richtlinie eine mittlere Katastrophe“, so der Wirtschaftsexperte, der an die Unternehmen appelliert, schleunigst aktiv zu werden.

ESG: Unter­nehmen stehen erst am Anfang.

Ähnlich verhält es sich in puncto Nachhaltigkeit. Der Bereich Environment, Social, Governance (ESG) stellt den Großteil der Betriebe vor massive Herausforderungen. Denn derzeit scheint nur ein Drittel der heimischen Unternehmen auf Kurs zu sein. Laut eigenen Angaben verfügen lediglich 14 % über eine bereits vollständig umgesetzte Nachhaltigkeitsstrategie, weitere 18 % befinden sich in der Planungsphase. Hier besteht die berechtigte Hoffnung, dass in Kürze Vorkehrungen getroffen werden. Besonders bedenklich: Jeder fünfte Betrieb hat Handlungsbedarf in Richtung einer „grünen Zukunft“ erkannt, jedoch keine Strategie verankert oder zumindest in Planung. „Unabhängig davon, dass je nach Unternehmensgröße viele Betriebe in den kommenden Jahren ihre ‚grünen Aktivitäten‘ offenlegen müssen, wird ESG ein Umdenken für die gesamte Wirtschaft bedeuten. Denn früher oder später wird das Thema der Nachhaltigkeit auch ein zentraler Eckpfeiler in Finanzierungsfragen oder der Kreditvergabe sein“, so Vybiral. 

Kostenmanagement an erster Stelle.

Trotz zahlreicher Krisen in den vergangenen Jahren verfügen Österreichs Unternehmen über ausreichend Eigenkapital, um die Themen der Zukunft anzugehen. Das passiert jedoch zu selten. Wenn das laufende Jahr für einen Aspekt steht, dann ist es jener, dass den Kosten alles untergeordnet wird. Das zeigt sich auch daran, dass zwei Drittel der Unternehmen zuletzt zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen implementiert bzw. bestehende adaptiert haben, um die eigene Liquidität zu wahren. „Österreichs Unternehmen agieren heute vergleichsweise vorsichtiger und haben einen maximalen Kostenfokus“, erklärt Gerhard Wagner, Geschäftsführer der KSV1870 Information GmbH. Insbesondere eine engere Kosten- bzw. Budgetkontrolle, die Einführung von Energiesparmaßnahmen und ein vorsichtiger getakteter Investmentplan zählen zu den gängigsten Maßnahmen, ebenso wie vermehrte Bonitätsprüfungen oder der Ausbau des Mahnwesens. 

Eigen­ka­pital so hoch wie selten zuvor.

Laut Austrian Business Check ist die Eigenkapitalstärke der heimischen Unternehmen erfreulich – und das, obwohl die vergangenen Jahre herausfordernd waren. Derzeit bewerten 23 % ihre Eigenkapitalsituation mit „sehr gut“, weitere 28 % mit „gut“. Hinzu kommen 29 %, die sich „im gesicherten Mittelfeld“ bewegen. „So skurril es anmuten mag: Trotz der jüngsten Krisenjahre konnten viele Betriebe ihre Kapitalausstattung nach oben schrauben. Auch deshalb, weil das staatliche ‚Eigenkapital-Förderprogramm‘ funktioniert hat“, erklärt Wagner. Diesen Trend bestätigt auch ein Blick in die KSV1870 Wirtschaftsdatenbank. Derzufolge hat sich die durchschnittliche Eigenkapitalquote zwischen den Jahren 2018 und 2021 von 48,09 % auf 49,69 % erhöht. Zudem gab es im Jahr 2021 fast 146.000 Unternehmen mit einer positiven Eigenkapitalquote – so viele wie seit Jahren nicht. 

70 % der Unter­nehmen wollen inves­tieren.

Drei von vier Unternehmen haben im vergangenen Jahr Investments getätigt – davon konnten 42 % sogar sämtliche geplanten Investitionen umsetzen. Weiteren 32 % war es möglich, zumindest punktuell zu investieren. Die meisten Investitionen haben Unternehmen in der Industrie und dem Gewerbe bzw. in den Bereichen Land-/Forstwirtschaft, Gastronomie & Beherbergung und der Warenproduktion getätigt. Wenn es nach den Vorstellungen der Firmen geht, soll sich dieser Trend heuer fortsetzen. Trotz eher vorsichtiger Prognosen wollen insgesamt 70 % investieren. Der Wermutstropfen: Die Hälfte macht etwaige Investments von den wirtschaftlichen Entwicklungen in den kommenden Wochen und Monaten abhängig. Erfreulich ist hingegen, dass knapp 30 % bereit sind, mehr als im Vorjahr zu investieren. Insbesondere soll die Digitalisierung (36 %) davon profitieren, gleichzeitig wird aber auch an den Aufbau neuer Geschäftsbereiche bzw. Vertriebskanäle gedacht. Zudem soll sich durch neue Investments die Qualität der Produkte verbessern und behördliche Auflagen erfüllt werden. „Generell zeigt sich, dass es vor allem um punktuelle Investments geht. Die großen Brocken werden eher selten angegriffen“, so Wagner.

Aus dem KSV1870 Magazin forum.ksv - Ausgabe 2/2023.