Chatbots als Kundenberater

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Wer bei einer Service-Hotline anruft, braucht meist vor allem eines: Geduld. "Wäre das Warten auf die Hotline eine Diät, kein Österreicher hätte Übergewicht“, schrieb das Magazin „Konsument“ 2015, als man bekannte heimische Unternehmen auf ihre Erreichbarkeit überprüfte. Doch wer heute einem Unternehmen eine dringende Frage stellen möchte, muss nicht mehr auf die Bürozeiten achten. Unternehmen wie die AUA, A1 und Wien Energie sind mittlerweile rund um die Uhr über Chat-Dienste wie Facebook Messenger oder Skype erreichbar. Der Gesprächspartner ist hier jedoch meist kein Mensch, sondern ein Computerprogramm - ein sogenannter Chatbot.
 
Facebook brachte den Hype. Sei es die Frage, ob der Flug Verspätung haben wird oder welches Smartphone am besten zu mir passt, Chatbots antworten stets flott, professionell und höflich. Doch die menschlich wirkenden Computerprogramme sind eigentlich alles andere als eine neue Technologie. Mit Eliza, einer virtuellen Psychiaterin, gab es bereits 1966 einen ersten Chatbot. Die Technologie wurde stets weiterentwickelt, blieb aber lange Zeit in der Nische stecken. Facebook löste jedoch 2016 einen wahren Hype aus, als man seinen eine Milliarde Nutzer zählenden Messenger für Chatbots öffnete. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 30.000 Facebook-Chatbots veröffentlicht. Einen ähnlichen Blitzstart legte lediglich Apples App Store hin, der nach einem Jahr 50.000 Apps verzeichnete.
 
Auch Bots müssen lernen. „Chatbots sind sinnvoll dort einzusetzen, wo man Prozesse leicht automatisieren kann“, erklärt Barbara Ondrisek, Gründerin der auf Chatbot-Entwicklung spezialisierten „Chatbot Agency“. „Wenn zum Beispiel 80 Prozent aller Anfragen gleich sind, kann man einen Chatbot trainieren, damit er diese Fragen selbständig beantwortet.“ Der Entwicklungsaufwand sei mit dem für eine neue App oder Website vergleichbar, wobei es auf die Funktionalität ankommt. „Manche Chatbots sind sehr aufwändig und können vielerlei Fragen beantworten, andere spezialisieren sich auf einen einfacheren Use Case“, so Ondrisek. „Allerdings kann man Chatbots trainieren, sodass sie immer weiter dazulernen und sich weitere Funktionen ‚aneignen’.“ Der WienBot, der offizielle Chatbot der Stadt Wien, konnte beispielsweise zu Beginn nur auf die 100 häufigsten Suchanfragen der Website antworten. Aus den Anfragen der Chatbot-Nutzer wurde jedoch abgeleitet, wie das Angebot des WienBots erweitert werden soll. Mittlerweile gibt der WienBot zu mehr als 250 Themen Auskunft.
 
Komplexes beantworten Menschen. Beim Training des Chatbots ist somit nach wie vor menschliche Hilfe gefragt. Denn die Programme werden zwar besser darin, den Kontext der Aussagen zu erkennen, hin und wieder begehen sie aber Fehler oder haben keine Antwort parat. Das Wiener Start-up Oratio will derartige „Sprachlosigkeit“ verhindern. Oratio hat eine Plattform entwickelt, über das Unternehmen ihre Messenger-Kanäle verwalten können. Häufig gestellte Fragen kann ein Chatbot automatisch beantworten, bei komplexen Anfragen springt der Mensch ein. Ein Prinzip, das bei vielen Chatbots zum Einsatz kommt. Vorerst stellen die Chatbots somit nur eine Ergänzung dar, die Kundenservice-Mitarbeiter werden nicht vollständig ersetzt.
 
Kostenersparnis enorm. Laut dem britischen Marktforschungsinstitut Juniper sparen sich Handel, Banken und Gesundheitswesen ab 2022 dank Chatbots acht Milliarden US-Dollar pro Jahr. Bis dahin sollen die Chatbots auch deutlich intelligenter und selbstständiger sein. So sollen 90 Prozent aller Kundenanfragen im Bankwesen von Chatbots beantwortet werden. Die US-Banken „Bank of America“ und „Capital One“ stellen ihren Kunden bereits simple Chatbot-Bankberater zur Verfügung, in Österreich experimentiert die Erste Bank mit einem Chatbot, der bei der Kreditvergabe berät. In der Zukunft wäre noch deutlich mehr möglich. Laut Unternehmensberatung McKinsey könnten allein in den USA 29 Prozent der Kundendienst-Mitarbeiter mithilfe von Chatbots eingespart werden. Die Folge: 23 Milliarden US-Dollar Gehaltskosten pro Jahr weniger. Bei Verkäufern von Versicherungen und Finanzdienstleistungen könnten sogar bis zu 60 Prozent der Jobs wegfallen.
 
Tausende Nutzer. Dieses Potenzial versucht auch die Wiener Start-up-Community zu nutzen, die Österreichs Hauptstadt zu einem internationalen Chatbot-Hotspot gemacht hat. Neulinge werden beispielsweise im Förderprogramm Lemmings I/O zu Chatbot-Entwicklern ausgebildet, während der Accelerator „Elevate“ gezielt Chatbot-Start-ups unterstützt. Zudem findet am 2. und 3. Oktober bereits zum zweiten Mal die Wiener Chatbot-Konferenz „ChatbotConf“ statt. Bei dieser werden Speaker von Facebook, Twitter, Slack und Google erwartet. Mittlerweile gibt es rund 40 österreichische Chatbots, viele davon international erfolgreich. „Mica the Hipster Cat“, ein Chatbot, der Lokale empfiehlt, war beispielsweise einer der ersten Facebook-Chatbots weltweit und zählt mittlerweile mehr als 100.000 Nutzer. Das Start-up „Swell“ hat seine App vollständig als Chatbot nachgebaut und erreicht damit sogar mehr als vier Millionen Nutzer.
 
Als Assistent gefragt. Nutzerzahlen wie diese sind jedoch rar, die meisten Chatbot-Entwickler halten diese unter Verschluss. So kann das Potenzial für neue Chatbots nur schwer eingeschätzt werden. Einer repräsentativen Befragung des Digitalverbandes Bitkom zufolge kann sich jeder vierte Deutsche bereits jetzt vorstellen, Chatbots zu nutzen. Beliebteste Szenarien: Als Assistent für die persönliche Terminplanung (68 Prozent), um Veranstaltungstickets zu kaufen (64 Prozent), für Recherchen beim Online-Shopping (58 Prozent) sowie für Nachrichten und Wetter (53 Prozent). Der Mehrheit sind Chatbots aber trotz Medien-Hype kein Begriff.
 
Innovationswelle in Sicht. Ein Problem, mit dem auch viele Entwickler kämpfen. Chatbots können nur mühsam, beispielsweise per Link oder QR-Code, gefunden werden. Einen „App Store“ für Chatbots gibt es bei Facebook nach wie vor nicht. Eine bewusste Entscheidung des US-Konzerns, der selbst noch viel mit dem Format experimentiert und die Nutzer nicht verschrecken möchte. Mittlerweile empfiehlt Facebook beispielsweise Entwicklern, mit Menüs statt freier Texteingabe zu arbeiten - viele Chatbots haben die Nachrichten der Nutzer einfach nicht verstanden und diese frustriert. „Ich denke, dass Chatbots in Zukunft generell mehr in den Alltag integriert werden. Wir stehen gerade am Anfang dieser Innovationswelle“, sagt Ondrisek. „Das ist vergleichbar mit 1998, als Unternehmen wie BMW sich überlegt haben, ob sie überhaupt eine Website brauchen.“

Text: Michael Leitner

Diesen Artikel finden Sie im forum.ksv 4/2017.