Erbsenzähler, Träumer, Chef ...

Lassen sich Teams strategisch zusammenstellen? Laut Theorie: ja. Doch wie viel ist in der Praxis dran an den Rollenmodellen der Wissenschaft?

Liest man sich Stellenanzeigen durch, so müssten in Büros und Chefetagen nur noch Dreamteams sitzen: hohe Fachkompetenz, Teamfähigkeit, Stressresistenz und Kreativität, gepaart mit unternehmerischem Denken und Einsatzbereitschaft. Und für die Chefs natürlich noch eine ausgeprägte Führungskompetenz. Dass die Realität anders aussieht, ist klar. „Sehr teamfähig, sehr leistungsorientiert und fachlich äußerst versiert? Das kann es gar nicht geben. So arbeitet der High Performer möglicherweise nur ungern im Teamkontext zusammen“, sagt Priv.-Doz. Dr. Michael W. Busch vom Fachbereich Management-, Organisations- und Personalberatung der Fachhochschule Wiener Neustadt. Er hat sich besonders auf die Effizienz in Teams spezialisiert.

Vom Beobachter bis zum Wegbereiter. Wie sich Teams erfolgreich zusammenstellen lassen, hat der Brite Dr. Raymond Meredith Belbin in einer Studie während der späten 1960er- sowie in den 1970er-Jahren untersucht. Dabei identifizierte er zunächst acht, später neun Teamrollen (siehe Kasten). Gemeint sind damit nicht die funktionalen Rollen, also die beruflichen Kompetenzen oder die offizielle Funktion im Team, sondern das Verhalten, das ein Teammitglied zum Erreichen der Ziele an den Tag legt. Diese reichen von den Chefrollen (Macher und Koordinator) über visionäre (Neuerer, Wegbereiter) und genau arbeitende Teammitglieder (Umsetzer, Perfektionist) bis hin zu analytischen (Beobachter, Spezialist) und ausgleichenden Rollen (Teamarbeiter). Um ein erfolgreiches Team zusammenzustellen, müssen laut Belbin all diese Teamrollen vorhanden sein, wobei aber auch ein Teammitglied mehrere Rollen übernehmen kann.

Idealtypen selten in Reinform zu finden. Doch lässt sich dieses Rollenmodell auch in der Praxis anwenden, um erfolgreiche Teams zusammenzustellen? „Das Modell liefert nette Anregungen. Doch wer entspricht schon dem Idealtypus? Jede Typologie ist verkürzt. So waren Persönlichkeiten wie Steve Jobs oder Stanley Kubrick Visionäre, aber gleichzeitig Kontrollfanatiker und Perfektionisten. Dreamteam-Reintypen gibt es nicht, es führen immer mehrere Wege nach Rom“, so Busch. Am Ende müsse das Resultat stimmen, da es um das gemeinsame Erreichen von Zielen gehe.

Teamrollen fürs Recruiting? Auch für ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Robert Neumann, Gründungsdirektor der M/O/T School of Management der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, sind Rollenmodelle mehr ein theoretisches Gedankenspiel. Der Einsatz für neue Teams macht auf den ersten Blick Sinn. „Doch hat man überhaupt die Möglichkeit, ein eigenes Team zusammenzustellen? Projektleiter leiden oft darunter, dass sie darauf keinen Einfluss haben. Man hat gewisse Gruppen von Menschen zur Verfügung und muss mit diesen ein Projekt realisieren.“ Natürlich mache es bei Nachbesetzungen Sinn, Teamrollen mitzuberücksichtigen. Wenn man etwa weiß, dass jemand mit Initiative oder Kreativität im Team fehlt. Wichtiger als das Rollenbild seien aber die notwendigen Kompetenzen: „Ist jemand unfähig, im Team zu arbeiten, nützt auch die Fachkompetenz nichts.“ Fürs Recruiting nehme man sich in Mitteleuropa viel zu wenig Zeit, sagt er. Oft werde schnell rekrutiert, ohne zu prüfen, ob das neue Mitglied auch ins Team passe: „Dabei kann schon ein falsches Teammitglied ausreichen, um die gesamte Gruppe zu ‚vergiften‘.“

Ist-Diagnose. Rollenmodelle sind für Neumann einerseits gut als Diagnose-Instrument geeignet: Warum sind das Team, die Leistung oder Stimmung so, wie sie sind? Zudem können Rollen optimiert werden: „Welche Teamrollen fehlen uns noch, oder werden Erwartungen in Rollen nicht erfüllt?“ Denn es gebe einen großen Unterschied zwischen offizieller und gelebter Rolle. Gute Teamleader würden diese Rollenmodelle immer wieder als Status-quo-Überprüfung heranziehen. Ebenso wie externe Konsulenten – die ins Spiel kommen, wenn es im Team hakt. „Teamwork wird dann relevant, wenn das Team nicht ‚workt‘. Fußballtrainer wie Jogi Löw sagen, dass am Ende ein Team aus Spielern bestehen müsse, die miteinander gewinnen können“, so Michael W. Busch.

Zu wenig Zeit. „Wir wissen, dass in Teams gruppendynamische Prozesse ablaufen. Doch das Projekt drängt, und das Team muss schnell arbeitsfähig werden“, so Neumann, der auch Teams und Führungskräfte coacht. Die notwendigen Spielregeln der Zusammenarbeit werden oft relativ schnell übergangen, von Kompetenzen über Rollen bis hin zur Frage, wer Entscheidungen trifft und somit die Macht hat. „Das rächt sich dann später. Wenn beispielsweise die Machtkampfphase zu einem Zeitpunkt auftritt, wo man es nicht brauchen kann“, sagt er. Und diese kann den Verlauf des ganzen Projekts beeinflussen. „Heute wird oft gesagt: Schaffen wir Hierarchien ab und bilden dafür Teams. Doch es gibt keine machtfreien Zonen. Macht ist immer da. Wer darf was sagen, wer ist der Sündenbock?“, ergänzt Busch von der FH Wr. Neustadt.

Kein Team ohne Führung. „Oft wird davon ausgegangen, dass sich das Team schon von selbst ergibt – dem ist aber nicht so. Damit aus einer losen Gruppe ein Team wird, braucht es Führungs- und Teamentwicklungskompetenz“, so Neumann. Das ist ein fortlaufender Prozess. Busch ergänzt: „Teamarbeit ist immer auch Beziehungsarbeit – und das ist immer anstrengend.“ Hoher Aufwand und viel Zeit würden also nötig sein, doch das wollten viele Unternehmen nicht auf sich nehmen, wenngleich es sich langfristig lohnen würde: „Ein Teamentwicklungsprozess scheint auf den ersten Blick mühsam – ist aber eine Investition in die Produktivität“, weiß Neumann.
 
Teamrollen: Und wer sind Sie?
Der Brite Dr. Raymond Meredith Belbin beschäftigt sich seit Ende der 1960er-Jahre mit der Frage, wie sich erfolgreiche Teams zusammensetzen. Dabei entstanden diese Teamrollen:
  • Umsetzer: Ist sehr genau, praktisch und kann gut organisieren.
  • Neuerer: Der Kreative im Team, ist fantasievoll und individuell.
  • Wegbereiter: Nimmt die Ideen anderer im Team auf und verknüpft sie mit externen Kontakten und Ressourcen.
  • Teamleader, Koordinator und Macher: Der ruhige Koordinator wird respektiert, er kennt die Stärken seiner Teammitglieder und weiß diese entsprechend zu nutzen. Der gegensätzliche Macher übt Druck aus und treibt die Truppe an.
  • Beobachter: Ist eine Art Schiedsrichter im Team, sehr analytisch bewertet er die Ideen von Neuerer und Wegbereiter.
  • Teamarbeiter: Ausgleichend, hat eine positive Wirkung auf die Stimmung im Team und schwächt damit auch Konflikte ab.
  • Perfektionist: Sorgt dank seiner Sorgfalt dafür, dass Aufgaben zu Ende gebracht werden.
  • Spezialist: Diese Teamrolle kam erst später hinzu. Der Spezialist punktet mit besonderem, oft technischem Fachwissen.
Ein weiteres Teamrollenmodell stammt von Raoul Schindler. Er teilt Teamrollen in diese vier Kategorien ein:
  • Alpha: Ist der Gruppenleiter, der die Gruppe auch nach außen repräsentiert.
  • Gammas: Sind die Gruppenmitglieder und machen die Arbeit. Sie unterstützen Alpha und lehnen die Omegas ab.
  • Beta: Ist der Experte der Gruppe und unterstützt Alpha.
  • Omegas: ehemalige Gammas oder Betas und die Außenseiter im Team. Sie sind entweder unterfordert oder überfordert, je nachdem, wie Beta in seiner Führungsrolle agiert.
Text: Sonja Tautermann

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