Geschäfte im Zwielicht

Wirtschaftskriminalität ist in Österreich eine Wachstumsbranche, sagen Experten. Und oft ist das Geld des geschädigten Unternehmens unwiederbringlich weg und die Reputation nachhaltig ruiniert. Aber: Sehr viele Fälle lassen sich mit einem verstärkten Fokus auf Information, Prävention und Compliance vermeiden.

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Nicht nur die globale Wirtschaft wächst, auch Wirtschaftskriminelle haben Hochkonjunktur: Laut dem von PwC herausgegebenen „Global Economic Crime and Fraud Survey“ ist die Zahl der gemeldeten Betrugsfälle zuletzt weltweit um 13 % gestiegen. Das populärste Delikt ist nach wie vor die Unterschlagung, dicht gefolgt von Cyberkriminalität. Ebenso relevant sind Delikte in Zusammenhang mit geschäftlichem Fehlverhalten, wie Untreue, Bilanz- oder Insolvenzdelikte. „Dieser Trend zeichnet sich auch in Österreich ab, wobei insbesondere Cyberkriminalität und Insolvenzdelikte ansteigen“, sagt Nina Stiglitz, Rechtsanwältin bei der Wiener Wirtschaftskanzlei Vavrovsky Heine Marth. „Betroffene Branchen sind insbesondere Banken, Immobilien und Versicherungen.“ Durch ihr Engagement in Osteuropa, das häufig durch verdeckte Kick-back-Zahlungen an politische Entscheidungsträger „gefördert“ wird, ist auch die Baubranche oftmals mit der Aufarbeitung von Korruptionsfällen der Vergangenheit konfrontiert. Dabei ist es nur ein schwacher Trost, dass Österreich im Korruptionsindex von Transparency International etwa gleichauf mit Deutschland liegt. 

White Collar vs. Blue Collar. International unterscheidet man zwischen „White Collar“- und „Blue Collar“-Verbrechen. Der Täter, der sich die Hände nicht schmutzig macht, ist von einem Räuber oder Mörder weit entfernt und hat meistens auch einen anderen sozialen Background. „Interessanterweise gibt es in Österreich aber keine rechtliche Definition von Wirtschaftskriminalität oder ein Gesetz, das alle Wirtschaftsdelikte zusammenfasst“, weist Oliver Werner, Rechtsanwalt und Compliance-Spezialist bei CMS in Wien, hin. „Ein wichtiges Kennzeichen ist, dass ein strafbares Verhalten im Zusammenhang mit einer kaufmännisch-wirtschaftlichen Tätigkeit gesetzt wird. Der Kreis potenzieller Täter erstreckt sich dabei keinesfalls nur auf höhere Managementebenen. Mitarbeiter aller Ebenen können Täter sein“, so der Rechtsexperte. 

Interessanterweise gibt es in Österreich aber keine rechtliche Definition von Wirtschaftskriminalität oder ein Gesetz, das alle Wirtschaftsdelikte zusammenfasst. 

Besonders gefährdet: Banken, Versicherungen, Pharmakonzerne. Angesichts der „Popularität“ von Betrug und Untreue ist es wenig verwunderlich, dass die wichtigsten Gefahrenzonen im Unternehmen jene sind, wo solche Delikte (oft auch unbeabsichtigt) möglich sind: Finanz- und Rechnungswesen, Vertrieb, Einkauf oder Geschäftsführung. „Als begünstigende Faktoren oder Ursachen werden vorwiegend mangelndes Unrechtsbewusstsein, fehlende oder nicht ausreichende Kontrollen, Unachtsamkeit, Nachlässigkeit und Erfolgsdruck genannt“, so Werner. Dass die größten Fälle immer die gleichen Branchen betreffen und der Lebensmittelhandel nur selten mit Korruptionsfällen in Osteuropa oder mit Kartellstrafen im Westen medial konfrontiert wird, liegt in der Natur der Sache. „Banken, Versicherungen und die Pharmaindustrie sind aufgrund der starken Regulierung häufiger mit wirtschaftskriminellen Handlungen konfrontiert. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft sind sie gesetzlich verpflichtet, interne Richtlinien zur Vorbeugung zu setzen. In der Praxis zeigt sich aber, dass keine Branche vor wirtschaftskriminellen Handlungen gefeit ist“, sagt Karin Mair, Partnerin & National Leader Forensic bei Deloitte Österreich. 

Hohe Dunkelziffer. Während jedes gestohlene Autoradio in der Polizeistatistik auftaucht, halten sich Unternehmen von offiziellen Kanälen oftmals fern. Denn negative Schlagzeilen könnten sich in rückläufigen Umsatzzahlen bemerkbar machen. Auch Kristof Wabl, Partner im Bereich Forensic Services bei PwC, vermutet eine hohe Dunkelziffer: „Es gibt keine generelle Verpflichtung für Unternehmen, Wirtschaftskriminalität zu melden oder zu veröffentlichen. Und nur selten kehrt jemand gerne vor der eigenen Haustüre.“ Außerdem: „Vielen Unternehmen ist zudem nicht bewusst, wie hoch ihr Risiko in Bezug auf wirtschaftskriminelle Handlungen tatsächlich ist. Oder noch schlimmer: dass sie eventuell bereits selbst zum Opfer solcher wurden“, so Wabl. 

Wirtschaftskriminalität funktioniert auch ohne zerrüttetes Elternhaus. Geht es in der Kriminalistik um Menschenleben, lassen sich Bibliotheken mit Täterprofilen füllen. Parallel dazu wird das Profiling auch zur Prävention genutzt. Und sei es nur, um mithilfe der Psychologie labilen Personen den Zugang zu einem Waffenschein zu verwehren. Zweigt hingegen ein Mitarbeiter in einer verantwortungsvollen Position Gelder ab, um etwa seine Spielsucht zu finanzieren, kann dieser jahrelang unentdeckt bleiben. Denn die „kriminelle Energie“, die zur Hinterziehung eines fünfstelligen Eurobetrags notwendig ist, bedarf keines zerrütteten Elternhauses oder psychischer Probleme. „Das macht die Aufarbeitung der Fälle nicht gerade leichter“, meint Wabl. „Wirtschaftskriminalität ist der Mix aus verschiedenen Voraussetzungen, gepaart mit menschlichen Motiven. Die wichtigste Komponente dabei ist und bleibt die Entscheidung eines Menschen, die letztendlich in einer kriminellen Handlung resultiert.

Um dem präventiv entgegenzuwirken, sollten Unternehmen insbesondere dafür sorgen, dass potenziellen Tätern keine Gelegenheiten für Wirtschaftskriminalität geboten werden.“ Dazu zählen vor allem ein gut funktionierendes Compliance Management System (CMS) sowie effektive Kontrollen. Wichtig ist, dass die zu Papier gebrachte Compliance auch tatsächlich im Unternehmen gelebt wird. „Ein nicht praktizierter Code of Conduct ist schade um das Papier, auf dem er gedruckt wird“, so der PwC-Experte. 

Mit Compliance schützen. Es gilt: Information und Vorsicht sind besser als Nachsicht. Zumal man selbst mit einer blütenweißen Weste ungewollt ins Kriminal rutschen kann: „Wir erleben in unserer Beratungspraxis oft Fälle, in denen es Unternehmern gar nicht bewusst ist, dass das Gegenüber ein Amtsträger oder eine politisch exponierte Person ist“, so Werner. „Insbesondere bei Insolvenzdelikten passieren oft ungewollt Dinge, die strafrechtlich relevant sein können“, so Stiglitz, die ergänzt: „Letzte Versuche, ein Unternehmen durch ‚kreatives‘ Bilanzieren über die Runden zu bringen, können schnell ein Strafverfahren wegen Bilanz- oder Insolvenzdelikten nach sich ziehen.“ Ebenso problematisch ist der sehr weit gefasste Tatbestand der Untreue. Insbesondere KMU fehlt oft das Bewusstsein, dass etwa nicht fremdübliche Geschäftsführerbezüge oder andere „private“ Investitionen auf Unternehmenskosten strafrechtlich relevant sein können.

Auf Wiedersehen, Millionen. In der Causa Libro – einer der spektakulärsten Wirtschaftskriminalfälle der Zweiten Republik – sind hunderte Millionen Euro unwiederbringlich verschwunden. Aber auch in anderen Fällen war das Geld häufig weg. Wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen geschädigt hat, ist es meist nur möglich, eine Exekution bis zum Existenzminimum zu führen – in Wahrheit ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch Versicherungen helfen wenig, weil beispielsweise Managerhaftpflicht-Versicherungen bei strafrechtlicher Verurteilung grundsätzlich Deckungsausschlüsse vorsehen. Und selbst der Privatbeteiligtenanschluss bei einem Strafverfahren meist nur Kosten und Frust bringt. Etwas Trost spenden könnte das Wissen, dass der Täter hinter Gitter kommt. Aber: Häufig bekommt ein Bankräuber eine längere Freiheitsstrafe als jemand, der Milliardenbeträge abzweigt.

 

Der Buchhalter als Detektiv - ein Fall aus der Praxis
Forensic Accounting ist inzwischen auch in Hollywood angekommen. In der Realität läuft es ähnlich ab: genauso spannend, aber nicht ganz so schnell wie auf der Leinwand. Karin Mair, Deloitte Österreich, schildert einen Fall aus der Praxis: 

Der Vorstand erhält ein anonymes Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wird, dass seine Sales-Mitarbeiter im letzten Quartal fiktive Umsätze gebucht haben, um die Profitabilität zu erhöhen und Umsatzziele zu erreichen. Mit diesem Schreiben wendet sich der Vorstand an uns. Bei der forensischen Untersuchung werden zunächst Untersuchungsgegenstand und -zeitraum sowie anzuwendende Analysemethoden definiert. In diesem Fall sind das etwa die unverzügliche Sicherung und darauffolgende Analyse der E-Mail-Postfächer, um den Involvierungsgrad der Mitarbeiter zu erheben. Durch eine Analyse der Buchhaltungsdaten wird der Schaden bestimmt. Zur Nachvollziehbarkeit werden meist am Ende noch forensische Interviews mit den involvierten Personen geführt. Im Anschluss werden Untersuchungsergebnisse in einem Bericht objektiv und nachvollziehbar zusammengefasst. Alle Schritte erfolgen unter Einhaltung der Gerichtsverwertbarkeit sowie datenschutz- und arbeitsrechtlicher Vorgaben.
 

Text: André Exner