Motivforschung: Was wissen Sie über Ihre Kunden?

Motivforschung

Mit Markt- und Motivforschung weiß man über seine Kunden mehr als der Kunde über sich selbst. Dank der fortschreitenden Digitalisierung ist man jetzt den Gefühlen auf der Spur, und es ist möglich, Datensätze auszuwerten, die mehr über die Kunden erzählen. 


Am Puls der Kunden. Das US-Unternehmen Procter & Gamble brachte in den 1990er-Jahren Febreze auf den Markt. Eine farblose Flüssigkeit in der Sprühflasche, die lästige Gerüche in der Wohnung eliminieren sollte. In einem der ersten Werbespots sah man eine Dame mit ihrem Hund auf der Couch den schönen Spruch aufsagen: „Sophie wird immer wie Sophie riechen, meine Möbel müssen das nun nicht mehr.“ Psychologisch war der Spot top, und trotzdem floppte Febreze. Peter Hajek, Gründer und Eigentümer von Public Opinion Strategies: „Erst nachdem Millionen Dollar in eine Marketingkampagne flossen, wurden Markt- und Motivforscher engagiert. Und sie fanden die Ursache: Haustierbesitzer und Raucher nehmen den Geruch gar nicht wahr, den Febreze vertreiben sollte. Aber es stellte sich auch heraus, dass Menschen den Luftauffrischer gerne als rituellen Abschluss ihrer Putzaktivitäten verwenden.“ Der Werbespot wurde modifiziert, und fortan sah man Frauen, die ihre Putzaktivitäten mit einem kleinen rituellen Sprüher Febreze beendeten. Damit wurde das Produkt zum Blockbuster im Segment Haushaltsreiniger. Procter & Gamble macht damit jährlich eine Milliarde Dollar Umsatz. 

Am Markt vorbeiproduziert. Das ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass die Motivforschung aus einem Flop mit der richtigen Ansprache einen Verkaufsschlager machen kann. Doch in Krisenzeiten wird sehr oft bei der Markt- und Motivforschung gespart. „Lieber steckt man zuerst Millionen in die Produktentwicklung sowie in teure Marketingkampagnen, und erst dann, wenn der Plan nicht aufgeht, wird beim Kunden nachgefragt. Viel sinnvoller wäre es, eine Produktidee oder Marketingkampagne testen zu lassen, noch bevor Geld in neue Projekte investiert wird“, so Hajek.

Berühmte Flops gibt es viele, einer davon ist Segway. Das Produkt ist revolutionär – aber trotzdem will es niemand haben. Anfangs geriet der Hype außer Kontrolle, als die Nachricht durchsickerte, dass der berühmte Erfinder Dean Kamen an einem geheimen Produkt mit dem Codenamen „Ginger“ arbeite. Dies geschah ein Jahr vor dem offiziellen Produktstart. Kamen, so das Gerücht, habe eine Alternative zum Auto entwickelt. Als Investoren und die Öffentlichkeit begriffen, dass es sich nur um einen technisch weiterentwickelten Motorroller handelte, waren sie verdutzt. Da halfen auch die Werbespots nichts: Darin wurden Fahrer gezeigt, die wie Zirkusartisten auf seltsam aussehenden Gefährten balancierten. Hajek: „Der Preis für das Produkt war viel zu hoch. Zudem wurden potenzielle Nutzergruppen vor der Markteinführung nicht gefragt, was ihnen bei dem Gefährt wichtig ist. Heute hat man es in der Nische für Fremdenführer oder Polizeikräfte positioniert. Letztendlich wurden wichtige Produktversprechen nicht eingehalten, und das Produkt blieb im Verkauf weit hinter den Erwartungen zurück.“
 
„Die wichtigen Entscheidungen werden im Bauch und nicht im Kopf gefällt.“
 
Wie spricht man Kunden richtig an? Der Markt- und Motivforscher Hajek ist fest davon überzeugt, dass meist der falsche Weg gewählt wird: „Es wird zu viel über rationale Argumente nachgedacht und das Bauchgefühl außen vor gelassen. Dabei braucht man einen emotionalen Zugang zur Zielgruppe, da die wichtigen Entscheidungen im Bauch und nicht im Kopf gefällt werden.“ Darüber hinaus haben schon in den 1950er-Jahren Experten herausgefunden, dass viele Menschen nicht wissen, was sie wollen, und sich bei Entscheidungen dementsprechend unvernünftig verhalten. Gleichzeitig wurde erkannte, dass Menschen bei Befragungen ihre Wünsche und Abneigungen nicht verraten, selbst wenn sie diese kennen. Das war die Geburtsstunde der Motivforschung.
 
Man bediente sich der Tiefenpsychologie und teils aufwendiger wissenschaftlicher Untersuchungen, um herauszufinden, was die Menschen wirklich wollen. Damals widmete man sich zum Beispiel der Frage, warum Hausfrauen regelrecht in Verzückung geraten, wenn sie einen großen Selbstbedienungsladen betreten. Oder warum Männer durch Kabrioletts in Autohäuser gelockt werden, am Ende aber doch eine Limousine kaufen.

„Trink Coca-Cola!“ – Und der Umsatz steigt. Aufsehen erregte zum Beispiel das Experiment des New Yorker Marktforschers James Vicary, der in einem Kino in Fort Lee, New Jersey, innerhalb von sechs Wochen insgesamt 45.699 Besucher des Hollywood-Melodrams „Picknick“, ohne sie vorab zu informieren, mit einem Spezialprojektor alle fünf Sekunden jeweils einen Sekundenbruchteil lang den Werbebefehlen „Trink Coca-Cola!“ und „Hungrig? Iss Popcorn!“ ausgesetzt hatte. Das Resultat schlug hohe Wellen: Der Verkauf von Coca-Cola an der Kinokasse im Foyer stieg um 18,1 %, jener von Popcorn sogar um 57,5 %. Erst später stellte sich heraus, dass der Marktforscher bei den Zahlen getrickst hatte. Trotzdem wird bis heute mit solchen versteckten Botschaften um die Kunden gebuhlt. Hajek: „In jedem James-Bond-Film werden Produktplatzierungen wie zum Beispiel der Aston Martin oder auch die Uhrenmarke Omega um teures Geld verkauft. Dass es funktioniert, zeigt sich daran, dass Unternehmen bereit sind, viel Geld dafür auszugeben. Und sei es auch nur für wenige Sekunden.“

Neue Methoden. Markt- und Motivforschung haben gerade durch die zunehmende Digitalisierung einen echten Aufschwung erfahren. Vorbei sind die Zeiten, wo hunderte Studenten Telefonbefragungen machen oder einfache Online-Fragebögen in die Runde geschickt werden. Mit neuen Umfragemethoden lassen sich selbst die Emotionen der Kunden zu Produkten, Marken oder Parteien messen. Sogar die Emotionen von Werbespots können heute mit neuen Tools bis in die Zehntelsekunde genau auf die Konsumenten zugeschnitten werden. Von Trauer über Liebe bis Euphorie und wieder zurück – das alles ist heute kein Problem mehr.

Daten richtig auswerten. Das große Thema ist Big Data. Damit wird es möglich, nicht nur Motive zu erkennen, sondern auch die Zusammenhänge. Hajek: „Eine große britische Supermarktkette fand heraus, dass Menschen, die Windeln der Größe 0 kaufen, gerne auch Bier kaufen. Man fragte sich, wie das zusammenpasst, und fand heraus, dass in den ersten Monaten nach einer Geburt die Väter einkaufen gehen, während die Mütter noch mit dem Baby zu Hause bleiben.“ Hatte man vor 20 Jahren noch das Problem, an die Daten der Menschen zu kommen, so hat sich das heute massiv gewandelt. „Heute hat man eher das Problem, aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen“, erklärt Hajek. So dramatisch der Fall von Cambridge Analytica war, das laut Schätzungen von Facebook bis zu 87 Millionen Nutzerdaten weltweit aus dem Netzwerk gesaugt hat, so zeigt es doch, dass sich mit derartigen Datenmengen auch Wahlkämpfe beeinflussen lassen. Hajek: „Es war zwar illegal, was Cambridge Analytica gemacht hat, viele Kunden geben Unternehmen aber freiwillig ihre Daten bekannt. Es gilt, diese Daten richtig auszuwerten, um noch besser auf die Kundenbedürfnisse und Motive eingehen zu können. Aber bei Big Data stehen wir trotz großer Fortschritte noch ganz am Anfang. Was hier die Zukunft bringen wird, können nicht mal wir Profis abschätzen.“


Text: Stefan Scoppetta