Berg See

Österreichs Tourismus vor neuen Herausforderungen

Nach zwei Jahren wurden am 5. März 2022 nahezu alle Corona-Schutzmaßnahmen für die heimische Tourismusbranche außerhalb Wiens aufgehoben. 

Text: Peter Sempelmann (trend.at) 


Das Jahr 2019 ist der österreichischen Tourismusbranche in bester Erinnerung. Nach vielen Jahren des stetigen Wachstums gab es mit 152,7 Millionen Nächtigungen wieder ein neues Rekordjahr. Die Branche konnte insgesamt Einnahmen von 37,43 Milliarden Euro verbuchen – um 1,65 Milliarden mehr als im Jahr davor. Die direkten Wertschöpfungseffekte des Tourismus lagen bei 21,69 Milliarden Euro, was einem Anteil von 5,5 % an der Gesamtwertschöpfung entsprach. Es war angerichtet: Vom Neusiedlersee bis zum Bodensee rechnete man fix damit, dass der Aufwärtstrend anhalten würde. In Wien sollten allein in der anstehenden Ballsaison 520.000 tanzfreudige Gäste 151 Millionen Euro auf dem Parkett liegen lassen. Die Wintertourismus-Gebiete hatten hunderte Millionen investiert. 72,9 Millionen Nächtigungen in der Wintersaison 2018/19 hatten ein Nächtigungs-Plus von 1,5 % bedeutet. Die Seilbahnbranche pulverte 754 Millionen Euro in die Infrastruktur in Österreichs Bergen. Und die Investitionen begannen sich schnell zu rechnen – bis die Corona-Pandemie auch Europa erreichte. Und plötzlich galten Ischgl und einige andere Wintersport-Zentren nicht mehr als Wintersport-Hotspots, sondern als Corona-Hotspots.

Corona-Blackout im Tourismus.

In den folgenden Monaten kam es zu Lockdowns, die das Tourismusgeschäft fast komplett zum Erliegen brachten. Im März 2020 lag das Nächtigungs-Minus gegenüber dem Jahr 2019 bereits bei 59 %, im April bei 97 % und im Mai bei 90 %. Bis zum Juli 2020 hatte sich die Zahl der Nächtigungen trotz intensiver Werbung für einen sicheren Sommerurlaub in Österreich fast halbiert. Und der Stillstand dauerte an. Im Jahr 2021 gingen die Nächtigungszahlen gegenüber dem ersten Corona-Jahr noch weiter zurück – der vorläufigen Schätzung der Statistik Austria zufolge auf rund 79,6 Millionen Nächtigungen. Das bedeutet gegenüber dem Höchststand von 2019 ein Minus von 48 %.

Staatlicher Rettungsring.

Unter normalen Umständen hätte ein solcher Geschäftseinbruch zahlreichen Unternehmen Kopf und Kragen gekostet und sie in die Insolvenz getrieben. Gleich zu Beginn der Pandemie gab die Bundesregierung jedoch die Erklärung ab, die Betriebe bedingungslos zu unterstützen und, „koste es, was es wolle“, mit verschiedensten Hilfsmaßnahmen durch die Pandemie zu tragen. Die Folge war, dass die Branche, der in Österreich knapp 55.000 Unternehmen angehören, erstaunlich gut durch die Krise gekommen ist. „Wir hatten eigentlich damit gerechnet, dass sich die Bonität in der Pandemie schlechter entwickelt. Das ist in der Form nicht eingetreten“, erklärt Gerhard Wagner, Geschäftsführer der KSV1870 Information GmbH. In hohem Maß dafür ausschlaggebend war der Ersatz von 80 % der Umsätze aus dem Jahr 2019. „Alle, die vor der Pandemie ein sauberes Belegwesen geführt haben, sind sehr gut durch die Krise gekommen. Diejenigen, die zuvor an der Finanz Belege vorbeigeschwindelt hatten, bekamen Probleme, weil der Umsatz nicht vollständig abgebildet war“, erklärt Wagner.

Bonitätsstarke Branche.

Nicht alle Bilanzen haben sich so entwickelt, wie man es während einer Pandemie hätte erwarten können.

Die Unterstützungen der Bundesregierung hatten auch den seit vielen Jahren natürlichen Marktbereinigungsprozess in der Gastronomie unterbrochen. Schließungen oder Insolvenzen von Betrieben wurden durch Neugründungen ausgeglichen. „Das hat sich durch die Maßnahmen der Regierung in einen ‚Freeze‘ verwandelt“, so Wagner. Ein Beleg dafür: Während der Pandemie wurden rund 6.300 Tourismusbetriebe neu gegründet. Der überwiegende Teil der Tourismusbetriebe hat die wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen der Regierung während der Corona-Pandemie in Anspruch genommen. „Hier haben offenbar viele die Förderungen noch genutzt. Nicht jeder Vorwurf, dass sich manche auf Kosten der Allgemeinheit saniert haben, ist falsch. Vereinfachte Pauschalierungen kann man zwar nicht machen, aber es gibt Fälle, in denen es offensichtlich ist. Um es mit anderen Worten zu sagen: Nicht alle Bilanzen haben sich so entwickelt, wie man es während einer Pandemie hätte erwarten können“, erklärt Wagner. Weiters gibt es in der Branche die weit verbreitete Zustimmung, dass diese Unterstützungsmaßnahmen ausschlaggebend waren, dass die Tourismusbranche gut durch die Krise gekommen ist. „Das Bonitätsrisiko der Branche ist unterdurchschnittlich und hat sich im historischen Verlauf auch in der Corona-Pandemie nicht verschlechtert“, erklärt Günther Fasching, Prokurist der KSV1870 Information GmbH.

Hohe Investitionsbereitschaft.

Es war generell zu bemerken, dass die Betriebe die Zeit genutzt haben, um zu investieren und umzubauen.

Ein weiterer Ausdruck der guten Bonität der Branche ist die hohe Investitionstätigkeit – auch während der Pandemie. „Es war generell zu bemerken, dass die Betriebe die Zeit genutzt haben, um zu investieren und umzubauen. Die Professionisten waren dermaßen ausgelastet, dass es zu gewaltigen Vorlaufzeiten gekommen ist“, resümiert Fasching. Mit ein Grund dafür waren die durch die Haftungsübernahmen des Bundes abgesicherten Finanzierungen. „Alleine im Jahr 2020 hat der Staat Haftungen im Wert von über einer Milliarde Euro übernommen. Die Betriebe sind daher dank dieser Maßnahmen trotz ausbleibender Gäste sehr gut durchgekommen.“

Neue Risiken: Ukraine-Krieg, Inflation und Energiepreise.

Grundsätzlich, so die KSV1870 Experten, sei Österreichs Tourismusbranche gut durch die Pandemie gekommen. Alles wäre für einen Neustart angerichtet – wenn da nicht das neue, unwägbare Risiko des Krieges in der Ukraine und die damit in Zusammenhang stehenden jüngsten Teuerungen vor allem bei den Energiepreisen wären. Russische Touristen gehörten in den vergangenen Jahren zu den zahlungskräftigsten Gästen. Wie lange es dauern wird, bis internationale Touristen wieder nach Österreich kommen, um hier ihren Urlaub zu verbringen, ist angesichts der aktuellen Lage schwer abschätzbar. „Vor allem die Bereiche, die stark auf den internationalen Tourismus gesetzt hatten, müssen schauen, dass das Geschäft rasch wieder ins Laufen kommt, und eventuell auch neue Märkte schaffen“, meint Fasching. Auf lange Sicht könne man aber nicht auf Stammklientel oder Alternativklientel verzichten. Wagner sieht die stark gestiegenen Energiepreise als zusätzliche Herausforderung: „Heizen, Strom und Treibstoff bekommen mit den Preissteigerungen eine wesentliche Komponente in den Haushaltsplänen der Konsumenten. Wenn die Energiepreise weiter steigen, dann wird das richtig heikel, und die Inflation schlägt zudem genau beim Konsum der von der Tourismuswirtschaft erbrachten Dienstleistungen ein.“