Stockfoto Online Shopping - Miniaturpakete auf Laptoptastatur inklusive eine Kreditkarte

Pandemie ordnet Konsumverhalten völlig neu

Die Corona-Krise hat den Online-Handel weiter massiv gestärkt. Gleichzeitig sind überraschende Trends entstanden, die traditionelle Unternehmen vor neue Herausforderungen stellen.

Text: Markus Mittermüller

Gibt es einen Weg zurück in die „alte Normalität“ vor der Pandemie? Mit Blick auf das Konsumverhalten der Menschen wohl nicht. Die Konsumenten von heute sind nicht mehr jene, die sie vor der Pandemie waren. Ein Beispiel: Laut einer Deloitte-Studie belegt der Online-Versandhändler Amazon in einem internationalen Ranking der umsatzstärksten Einzelhändler mittlerweile Platz zwei und kann im Vergleich zum Vorjahr ein enormes Wachstum von 35 % vorweisen. Natürlich war der Online-Handel schon vor der Pandemie auf dem Vormarsch, dieser konnte sich zuletzt aber nochmals deutlich steigern. Auch Personen, die früher nie im Netz gekauft haben, gehen mittlerweile online shoppen.

Lokalität und Regionalität sind Trumpf.

„Was sich während der Pandemie neben dem Boom im Online-Handel abgezeichnet hat, ist ein Trend in Richtung Lokalität und Regionalität“, erläutert Orsolya Hegedüs, Partnerin bei Deloitte Österreich. Eine Erklärung dafür ist, dass es zuletzt immer wieder zu Lieferengpässen gekommen ist. „Viele Konsumentinnen und Konsumenten haben sich deshalb Alternativen zu internationalen Anbietern gesucht und dadurch lokale Händler für sich wiederentdeckt“, so Hegedüs. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend halten wird.

Markentreue sinkt.

Ein weiterer Effekt, der sich aufgrund von Lieferengpässen entwickelt hat, ist eine rückläufige Markentreue. „Große Marken können sich nicht mehr auf die Loyalität der Konsumenten verlassen“, sagt Dieter Scharitzer vom Institut für Marketing Management an der WU Wien. Die Verfügbarkeit von Produkten war für die Verbraucher zu Beginn der Pandemie sehr wichtig. Aufgrund von Lieferschwierigkeiten haben viele andere Marken ausprobiert. „Dabei haben die Konsumenten gemerkt: Die Qualität passt auch bei anderen Marken, die vielleicht sogar günstiger sind“, so Scharitzer. Gleichzeitig nagen die jüngsten Krisen auch am Haushaltsbudget. In einer Studie des Marktforschungsinstituts TQS Research & Consulting geben 45 % der Österreicher an, seit der Corona-Pandemie für das tägliche Leben weniger finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben.

Mehr Geld für Nachhaltigkeit.

In einem bestimmten Bereich sind die Verbraucher trotzdem dazu bereit, mehr Geld auszugeben. Und zwar dann, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. 25 % geben laut TQS-Studie an, für nachhaltige Produkte tiefer in die Tasche zu greifen. Hegedüs bestätigt: „Mittlerweile betrachten Einzelhändler die Nachhaltigkeitsmerkmale ihrer Produkte und Marken als Kernbestandteil ihrer Geschäftsstrategien, um so die neuen Kundenbedürfnisse insbesondere von Millennials und der Generation Z zu berücksichtigen.“ Was bedeuten diese Veränderungen aber für die Unternehmen? Der stationäre Handel spürt den Online-Boom und das Schmelzen der Kaufkraft besonders stark. „Für uns ist bereits klar, dass viele Geschäfte des nicht lebensnotwendigen Handels auch in diesem Herbst einen Überlebenskampf führen werden“, betont Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Der Flächenschwund im Non-Food-Handel werde sich inflationsbedingt fortsetzen. „Laut einer aktuellen Befragung geben 54 % der Österreicher an, weniger Geld für Uhren und Schmuck auszugeben. Bei Elektroprodukten sowie bei Bekleidung und Schuhen sind es 52 % der Bevölkerung“, sagt Will und ergänzt: Eine Reaktion des heimischen Handels auf die Kaufzurückhaltung und negative Konsumstimmung ist, verstärkt auf Rabattaktionen zu setzen. „Vielerorts wurde bereits im Juni der aus Skandinavien importierte ‚Midsummer Sale‘ eingeläutet, um die Umsätze anzukurbeln. Trotz hoher Beschaffungskosten müssen viele Händler großzügige Preisrabatte gewähren, um ihre Liquidität zu sichern.“

Erfolgreich mit hybridem Vertrieb.

Die Krise hat dem Multi-Channel-Marketing zum Durchbruch verholfen. Wer nur ein Standbein hat, der wurde von der Krise stark getroffen.

Rabattaktionen allein werden künftig aber nicht reichen, um Konsumenten vom Kauf zu überzeugen. „Der traditionelle Einzelhandel muss auf umfassende E-Commerce-Maßnahmen setzen, um hier weiterhin mithalten zu können“, rät die Deloitte-Partnerin. Und Scharitzer präzisiert: „Die Krise hat dem Multi-Channel-Marketing zum Durchbruch verholfen. Wer nur ein Standbein hat, der wurde von der Krise stark getroffen. Es gibt keine Wahl zwischen Online-Sein oder -Nichtsein: In Zukunft sind nur jene erfolgreich, die hybriden Vertrieb anbieten können.“ Wobei es beim Online-Kauf durchaus eklatante Branchenunterschiede gibt. So werden laut TQS-Studie vor allem Bekleidung, Schuhe, Handtaschen, Küchen- und Haushaltsprodukte sowie Produkte für die Körperpflege im Internet gekauft – eher selten Autos und Motorräder, Spirituosen, Babyprodukte und Musikgeräte. Klar ist: Der E-Commerce boomt in allen Zielgruppen. Stationärer Handel und Dienstleistungen müssen laut Scharitzer daher einen sicht- und erlebbaren Mehrwert bieten: „Offline wird zum Erlebnis: Shoppen gehen wird das Besondere. Online wird zum bevorzugten Versorgungskauf.“

Werte stärker kommunizieren.

Auch die Werte eines Unternehmens sollen künftig noch mehr in den Mittelpunkt gerückt werden, betonen die Experten. „Erfolgreiche große Einzelhändler haben rechtzeitig auf die veränderten Kundenwünsche reagiert und setzen verstärkt auf nachhaltiges und verantwortungsvolles Wachstum. Erfolgreiche Unternehmen unterstreichen ihr Engagement für Nachhaltigkeit, indem sie ihre ESG-bezogenen Kennzahlen (Environment, Social, Governance) veröffentlichen. Nun gilt es, auch die Produkte selbst immer klimafreundlicher zu machen“, so Hegedüs. Ein weiterer Wert, der klar an Bedeutung gewonnen hat, ist das Thema Sicherheit – vor allem in puncto Verfügbarkeit und Lieferfähigkeit von Produkten.