Der virtuelle Hörsaal mitten im Wohnzimmer

Die Corona-Krise hat die Fortbildung vielerorts in den Hintergrund gedrängt. Wer jedoch auf bereits bekannte digitale Tools setzt, erreicht sein Team auch zuhause.

Text: Markus Mittermüller

Hörsaal mitten im Wohnzimmer

Das ist für die meisten heimischen Unternehmen noch Zukunftsmusik: Ein Mitarbeiter im Homeoffice setzt sich eine Virtual-Reality-Brille auf und befindet sich mit einem Schlag mitten im virtuellen Trainingscamp. Dort übt er in verschiedenen Szenen, wie er mit unzufriedenen Kunden umgeht, bekommt eine Einschulung in die neue Software oder trainiert, vor einem virtuellen Publikum frei zu reden. Fortbildung ist durch die Pandemie für viele jedoch erst einmal in den Hintergrund gerückt. Als direkte Reaktion auf die Covid-19-Krise plant jedes vierte Unternehmen, sein Weiterbildungsbudget zu reduzieren. So das Ergebnis einer Studie, für die MAKAM Research im Auftrag der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung im Vorjahr 500 Personalverantwortliche und Unternehmer interviewt hat.

Zugangshürden gering halten.

Um gut aus der Krise zu kommen, ist Weiterbildung für die Mitarbeiter unabdingbar. Die gute Nachricht ist: Es ist kein großer technischer Aufwand nötig, um die Angestellten zur Fortbildung auch in ihrem Wohnzimmer zu animieren. „Wichtig ist, die Zugangshürde für die Mitarbeiter sehr gering zu halten“, betont Stephan Witzel, Geschäftsführer der UNI for LIFE, einer Weiterbildungsinstitution der Universität Graz. Wie begehrt solche Online-Angebote sind, hat eine Aktion zu Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 gezeigt. UNI for LIFE hat drei Seminare zu krisenrelevanten Themen kostenlos zur Verfügung gestellt, nämlich „Supply Chain Management“ zur Funktionalität von Lieferketten und der Materialwirtschaft, „Leadership“ und „Projektmanagement“. Die Inhalte waren so angelegt, dass die Seminare ohne Vorkenntnisse, von jeder Person und ortsunabhängig im Selbststudium absolviert werden konnten. „Damit haben wir ins Schwarze getroffen. 500 Teilnehmer haben wir erwartet, über 11.000 User haben sich angemeldet“, sagt Witzel.

Medienmix für alle Lerntypen.

Damit Online-Seminare von möglichst vielen Mitarbeitern angenommen werden, braucht es verschiedene Lernmethoden: „Wichtig ist, einen Medienmix für die unterschiedlichen Lerntypen anzubieten“, erklärt Witzel. Elementare Bestandteile sind daher Skripten, Erklärvideos, Fragen zur Selbstüberprüfung und auch ein Forum für den interaktiven Austausch der Teilnehmer untereinander. Will ein Unternehmen diese Inhalte selbst produzieren, muss laut Witzel mit einer Produktionszeit von bis zu sechs Monaten gerechnet werden. Daher greifen viele auf bestehende Angebote verschiedener Bildungseinrichtungen zurück. Die Payer Group aus der Steiermark hat vor zwei Jahren eine eigene Academy gegründet, um ihre Mitarbeiter lebenslang zu schulen. Neben der UNI for LIFE hat das Kunststoffverarbeitungsunternehmen auch die TU Graz und die FH Joanneum als Partner mit an Bord. „Dort kaufen wir die passenden Inhalte für unsere Mitarbeiter und stellen sie über die Lernplattform moodle zur Verfügung“, sagt Julia Knapitsch, HR-Leiterin der Payer Group.

Fitness für die gute Stimmung.

Knapitsch ortet besonders seit Weihnachten ein verstärktes Bedürfnis nach positiven Inhalten: „Wir bieten daher zum Beispiel auch Fitnessübungen für zu Hause, Resilienztipps oder Ratschläge für die richtige Kommunikation.“ Was dabei auffällt: Zur Verbreitung nutzt das Unternehmen altbekannte Kanäle, wie E-Mail und das Schwarze Brett. „In einer Ausnahmesituation wie dieser kommunizieren wir besonders viel mit unseren Mitarbeitern. Das Schwarze Brett und E-Mail sind Kanäle, mit denen man alle erreichen kann“, so Knapitsch. Vor der Corona-Krise waren Weiterbildungsangebote zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Technik, Produktion sowie Verkaufstraining und Marketing laut Umfrage besonders wichtig. Diese Prioritäten haben sich aktuell verschoben: An Bedeutung gewinnen Informatik, EDV sowie das Thema Sicherheit.

Besser spät als nie.

„Dass die Zeit während der Kurzarbeit für Weiterbildung genutzt werden kann, ist viel zu spät in Gang gekommen“, meint Christian Bayer, Obmann der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung und Geschäftsführer der TÜV Austria Akademie. Er rät, jetzt einen persönlichen Kompetenz-Check durchzuführen. „Wie bin ich derzeit aufgestellt, und welche Fähigkeiten werde ich künftig benötigen? Diese Fragen sollten sich die Mitarbeiter im Moment stellen“, sagt Bayer.

Weiterbildung ist der Mutmacher schlechthin, da sie Chancen und Perspektiven aufzeigt. Nur so können wir besser aus der Krise herauskommen.

Doppelte Aufmerksamkeit erzeugen.

Beim Online-Teaching ist laut Bayer nicht die Nutzung der neuesten digitalen Programme entscheidend, sondern der Umgang der Trainer mit den Lernenden. „Die Trainer müssen online doppelt so viel Aufmerksamkeit erzeugen und darauf achten, die Teilnehmer nicht zu verlieren“, erklärt der Experte. Kleinere Lerneinheiten, Auflockerungen durch Online-Umfragen, die Nutzung von Chats sowie der direkte Dialog mit den Lernenden sind entscheidende Elemente, um die Motivation im Wohnzimmer hoch zu halten. „Weiterbildung ist der Mutmacher schlechthin, da sie Chancen und Perspektiven aufzeigt. Nur so können wir besser aus der Krise herauskommen“, ist Bayer überzeugt.

Tipps zur virtuellen Fortbildung:

  1. Bestehende digitale Tools nutzen: Der Zugang zu den Lehrinhalten soll für Mitarbeiter so einfach wie möglich sein. Bereits vorhandene Kanäle nutzen, anstatt neue Apps oder Programme zu installieren.
  2. Kleine Gruppen, viel Interaktion: Lernteams mit maximal acht Personen sind ideal für den Austausch untereinander. Zudem kann der Vortragende die Teilnehmer aktiv ansprechen.
  3. Ein Blick auf die regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften in den Bundesländern lohnt sich allemal. So bietet zum Beispiel die Steirische Wirtschaftsförderungsgesellschaft Förderungen für Weiterbildung in den Bereichen Digitalisierung und Internationalisierung an.