Internationale Insolvenzstatistik 2014: Duo infernale - Keine Konjunktur ohne Pleitenanstieg

Die gute Nachricht vorweg: In Westeuropa setzt sich der Trend zu rückläufigen Insolvenzzahlen weiter fort. 2014 sind die Zahlen im Vergleich zu 2013 im Durchschnitt um 5,5 % zurückgegangen. Im ersten Halbjahr 2015 beläuft sich der Rückgang auf 4,1 % und hat sich damit etwas verlangsamt. Mittel- und Osteuropa schlägt mit einem Minus von 8,3 Prozent (2014) in dieselbe Kerbe – die Länder weisen aber untereinander größere Schwankungen auf als jene Westeuropas. Der Trend zu rückläufigen Zahlen hängt an den niedrigen Zinsen. Springt die Konjunktur an – und Europa bräuchte zur Sicherung des Wohlstands dringend ein nachhaltiges Wachstum – dann brächte das die Unternehmen unter Druck.
 
Es wird nicht verwundern, dass jene Länder, die nach 2008 durch das größte „Stahlbad“ gegangen sind, mittlerweile mit den größten Rückgängen punkten können: da gehört Spanien dazu (minus 25 % im 1. HJ 2015 nach minus 29 % im Jahr 2014) und Irland (minus 19 % nach minus 15 % 2014). Auch die Niederlande als Export- und Handelsnation gehören in diese Gruppe: minus 17 % nach minus 19 % 2014. Alle anderen wichtigen westeuropäischen Länder verzeichnen weiterhin Rückgänge, wenn auch nicht so spektakulär wie die genannten. Vor allem Deutschland als die europäische Exportlokomotive weist immer noch ein Minus von 3,9 % (nach minus 7,3 % im Jahr 2014) auf. Einzig Dänemark tanzt aus der Reihe mit einem satten Plus von 28 % gegenüber einem Minus von 19 % in 2014. Hier allerdings hat es den Anschein, dass eine Novelle des Insolvenzrechts im Jahr 2014 vorgenommen wurde (Novellen aus Jänner und Juni 2014), sodass dieser „Ausreißer“ eher auf einen Eingriff des Gesetzgebers zurückzuführen sein dürfte, und nicht so sehr auf das wirtschaftliche Umfeld.
 
Reformstaaten im Auf und Ab. Die zentral- und osteuropäischen Mitgliedsländer der EU weisen größere Divergenzen auf als der Westen: während große Volkswirtschaften wie Rumänien oder Bulgarien mit deutlichen zweistelligen Rückgängen von 2013 auf 2014 aufwarten können, haben vergleichsweise industrialisierte Länder wie Tschechien, Slowenien und die Slowakei Zuwächse zu verzeichnen. Nicht gänzlich überraschend erscheint ein fast 30%iges Plus an Insolvenzen in Ungarn, das in den vergangenen Jahren kaum eine Gelegenheit verabsäumt hat, ausländische Investoren abzuschrecken und schon im Land operierende Unternehmen mit ausländischen Hintergrund zu  behindern. Im Durchschnitt weisen die Staaten Mittel- und Osteuropas insgesamt ein Minus von 8,3 % im Jahr 2014 auf.
 
Unterschiede in Europa.
Formal weisen West- wie auch Mittel- und Osteuropa Rückgänge auf. Die Durchschnittswerte dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Insolvenzbilder von Land zu Land sehr verschieden sein können. Da zeigen sich oftmals nicht vermutete regionale und vor allem auch rechtliche Unterschiede der Länder. Manche wickeln nur große Fälle von Zahlungsunfähigkeit über ein Insolvenzverfahren ab (Spanien) – andere kennen keine der Abweisung mangels Masse vergleichbare Lage und wenn Griechenland nur einige hundert Insolvenzen aufweist, dann herrscht dort überhaupt ein Regime, das mit dem unseren nicht vergleichbar ist. All das, obwohl doch die meisten der hier beleuchteten Länder Teil der Europäischen Union sind, einer Wirtschaftsunion, die von intensivierter wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Konvergenz der Mitgliedsländer geprägt ist.
 
Übersee: USA und Japan. Die wichtigen Volkswirtschaften USA und Japan verzeichnen ebenfalls rückläufige Zahlen und das konstant seit 2013. Aber während Japan kaum aus der lang schon andauernden Wirtschaftsflaute herauszufinden scheint, können die USA mittlerweile auf ein gegenüber der EU und Japan fast doppelt so hohes Wirtschaftswachstum blicken. „Amerika, du hast es besser als unser Kontinent…“ (Johann Wolfgang von Goethe). Nein, Amerika du machst es besser, muss man da sagen.
 
Insolvenzen im Wirtschaftszyklus. Insolvenzen sind zweifellos ein Spiegel der Wirtschaft: Sie stehen in ganz intensiver Korrelation mit volkswirtschaftlich relevanten Messgrößen wie Wirtschaftswachstum und Zinsniveau. Während der Zusammenhang mit dem Zinsniveau zeitlich sehr eng synchronisiert zu sein scheint, hinken Insolvenzzahlen der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung um mindestens 6 Monate hinterher. Zuweilen entstehen sogar scheinbar paradoxe Phänomene, dass parallel mit einem Aufschwung nach einer Stagnation auch die Insolvenzen anspringen. Das liegt dann typischerweise an einer Kombination von Faktoren: Oftmals halten sich Unternehmen einige Zeit über Wasser, dann geht Ihnen aber am Ende der Krise der finanzielle Atem aus und sie bekommen gar keine Gelegenheit mehr, am Aufschwung zu partizipieren. Von einem Abschwung werden außerdem alle Unternehmen erfasst, auch jene, die gut gewirtschaftet haben. Erst am Ende der Krise zeigt sich allerdings, wer wieder Umsatzzuwächse verzeichnen kann und wer nicht. Erst dann wissen die Banken, wen sie weiter begleiten werden und wen nicht. Zuletzt schaffen es immer wieder Unternehmen, während einer wirtschaftlich stagnierenden Zeit durch Innovationen und Investitionen für den nächsten Aufschwung gerüstet zu sein. Sie kommen dann mit neuen Produkten auf den Markt, wenn dieser nach längerer Zeit wieder wächst und bringen dann ihre weniger innovativen Konkurrenten unter Druck.
 
Ausblick auf 2015. Mit historisch einmalig niedrigen Zinsen, die auch noch einige Zeit auf gegenwärtigem Niveau verbleiben dürften, und auch exemplarisch niedrigen Energiepreisen wird die Wirtschaft der entwickelten Industrieländer weiterhin eher sinkende Insolvenzzahlen aufweisen. Doch soll dieses Bild nicht vorschnell zu Euphorie verleiten: Erst nachhaltiges Wachstum kann dazu führen, die Position der OECD-Länder zu festigen und den Wohlstand, an den wir uns gewöhnt haben, auch zu erhalten. Und dieses Wachstum wird voraussichtlich die Zinsen zu einem „normalen“ Niveau bringen und im Gefolge auch die Insolvenzen wieder ansteigen lassen.

Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans-Georg Kantner, Leiter Insolvenz KSV1870

Internationale Insolvenzstatistik 2014 / I. Halbjahr 2015
 

Land Unternehmens-
insolvenzen
I. HJ 2015

 
Unternehmens-
insolvenzen
I. HJ 2014
Verände-
rung in %
Unternehmens-
insolvenzen
2014
Unternehmens-
insolvenzen
2013
Verände-
rung in %
             
Österreich**) 2.534 2.829 -10,4% 5.423 5.459 -0,7%
Belgien 5.555 5.689 -2,4% 10.736 11.740 -8,6%
Dänemark 2.064 1.613 28,0% 4.049 4.993 -18,9%
Deutschland**) 11.558 12.032 -3,9% 24.085 25.995 -7,3%
Finnland 1.402 1.593 -12,0% 2.954 3.131 -5,7%
Frankreich 32.248 31.866 1,2% 62.752 62.903 -0,2%
Griechenland       325 390 -16,7%
Großbritannien 7.184 7.904 -9,1% 15.347 16.013 -4,2%
Irland 525 650 -19,2% 1.164 1.365 -14,7%
Italien 7.293 8101 -10,0% 15.605 14.269 9,4%
Luxemburg 428 422 1,4% 876 1.075 -18,5%
Niederlande 3.291 3.951 -16,7% 7.621 9.456 -19,4%
Norwegen 2.459 2.567 -4,2% 4.803 4.564 5,2%
Portugal 4.147 4.124 0,6% 6.773 8.131 -16,7%
Schweden 3.549 3.822 -7,1% 7.154 7.701 -7,1%
Schweiz  3.045 3.071 -0,8% 5.867 6.495 -9,7%
Spanien 2.687 3.587 -25,1% 6.392 8.934 -28,5%
Gesamt
Westeuropa
89.969 93.821 -4,1% 181.926 192.614 -5,5%
             
Bulgarien       644 834 -22,8%
Estland       523 514 1,8%
Kroatien       2.764 3.227 -14,3%
Lettland       853 818 4,3%
Litauen       1.636 1.552 5,4%
Polen       823 883 -6,8%
Rumänien       20.120 27.924 -27,9%
Serbien       4.773 8.498 -43,8%
Slowakei       522 507 3,0%
Slowenien       1.446 999 44,7%
Tschechien       12.772 11.070 15,4%
Ukraine       1.081 1.029 5,1%
Ungarn*)       17.461 13.489 29,4%
Gesamt
Osteuropa
      65.418 71.344 -8,3%
             
Japan 4.400 4.756 -7,5% 9.180 10.332 -11,1%
Kanada 1.581 1.580 0,1% 3.116 3.187 -2,2%
USA 12.325 14.275 -13,7% 26.983 33.212 -18,8%


 Quelle: KSV1870, Coface
 
* geschätzt
** inkl. abgewiesene Konkursanträge
Anmerkung: Die Zahlen sind durch unterschiedliche Insolvenzgesetzgebungen nur bedingt vergleichbar.