KSV1870

BREXIT – Neuregelungen zu Aufenthalt und Arbeitsmarktzugang

Neuregelungen zur Koordination der Sozialversicherungsvorschriften sowie zu Aufenthalt und Arbeitsmarktzugang

Das am 24.12.2020 geschlossene, seit 01.01.2021 (vorläufig) anwendbare Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Großbritannien (Partnerschaftsabkommen) enthält auch umfassende Regelungen zur Koordination der Sozialrechtsvorschriften. Auswirkungen hat der BREXIT auch auf den Bereich Aufenthaltsrechts und Arbeitsmarktzugangs.

1. Koordination der Sozialversicherungsvorschriften

Die Regelungen im Partnerschaftsabkommen entsprechen weitgehend denen der Verordnung (EG) 883/2004 (VO 883/2004). Die wesentlichen Eckpfeiler des Partnerschaftsabkommens sind:

  • Persönlich anwendbar ist das Abkommen auf alle Personen, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Staaten galten oder gelten, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene. 
  • Sachlich gilt das Abkommen für die zentralen Versicherungszweige der Kranken-, Pensions-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Nicht erfasst sind allerdings beitragsunabhängige Geldleistungen sowie Pflege- und  - als wesentlicher Unterschied zur VO 883/2004 - Familienleistungen. 
  • Zentrale Abkommensgrundsätze sind das Diskriminierungsverbot, die Gleichbehandlung, die Sachverhaltsgleichstellung, die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, die Aufhebung von Wohnortklauseln (Exportpflicht für Geldleistungen) und das Doppelleistungsverbot.
  • Hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften gilt das Prinzip der Einfachversicherung (Personen können in ein und demselben Zeitpunkt nur den Rechtsvorschriften eines Staates unterliegen). Für Erwerbstätige sind grundsätzlich die Rechtsvorschriften des Staates der Erwerbsausübung, für Beamte die Rechtsvorschriften des Staates, dem die sie beschäftigende Behörde angehört, anzuwenden. Andere Personen (Nichterwerbstätige) unterliegen den Rechtsvorschriften des Wohnstaates.

    Die Kollisionsnormen für Fälle der grenzüberschreitend ausgeübten Erwerbstätigkeiten entsprechen weitgehend denen der VO 883/2004. Neben der Verankerung des Ausstrahlungsprinzips für Selbständige und Arbeitnehmer (vorübergehend [voraussichtlich nicht länger 24 Monate] Entsandte unterliegen unter der Voraussetzung, dass sie und ihr Arbeitgeber an den Entsendestaat angebunden sind und das Ablöseverbot eingehalten wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaates) sind auch die Fälle der kontinuierlich grenzüberschreitend ausgeübten Erwerbstätigkeit bzw. der gleichzeitigen Ausübung einer Beschäftigung und einer selbständigen Erwerbstätigkeit entsprechend der VO 883/2004 geregelt. Wesentlich ist aber einerseits, dass die Entsenderegelung nur für jene Mitgliedstaaten anzuwenden ist, die - wie Österreich - ausdrücklich dazu optieren. Andererseits ist zu beachten, dass das Abkommen – anders als die VO 883/2004 und SV-Drittstaatsabkommen - keine Möglichkeit der Gewährung einer Ausnahme von den an sich anzuwendenden Rechtsvorschriften vorsieht.
  • Das Abkommen sieht auch eine Sachleistungsaushilfe für die Krankenbehandlung vor. 
  • Die Regelungen im Partnerschaftsabkommen sind auf grenzüberschreitende Sachverhalte, die nach dem 31.12.2020 begonnen haben, anzuwenden. Auf davor begonnene Sachverhalte – auch wenn sie über den 31.12.2020 hinaus andauern – ist weiterhin die VO 883/2004 anwendbar.

2. Aufenthaltsrecht und Arbeitsmarktzugang

Unterschieden wird auch hier zwischen britischen Staatsangehörigen, die vor dem 31.12.2020 nach Österreich gezogen sind, und jenen, die erst ab 1. Jänner nach Österreich ziehen bzw. hier erwerbstätig werden wollen.

  • Britische Staatsangehörige, die

    - bis Ablauf des 31.12.2020 in Österreich einen Aufenthalt begründet haben und

    - in Österreich entweder als ArbeitnehmerInnen, Selbständige oder SchülerInnen/Studierende tätig sind oder – auch ohne eine dieser Tätigkeiten – über ausreichendes Einkommen und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen,

    können auch nach 31.12.2020 bei weiterhin freiem Arbeitsmarktzugang in Österreich leben. Es ist jedoch bis spätestens 31.12.2021 ein neu geschaffener „Aufenthaltstitel Artikel 50 EUV“ zu beantragen.
  • Britische Staatsangehörige, die erst ab dem 1. Jänner 2021 nach Österreich ziehen, müssen – wie alle anderen Drittstaatsangehörigen – einen Aufenthaltstitel beantragen. Lediglich kurze Reisen nach Österreich sind weiterhin bis zu 90 Tage (innerhalb von 180 Tagen) visumfrei möglich.

    Soll in Österreich ein Arbeitsverhältnis eingegangen werden oder eine Entsendung aus Großbritannien nach Österreich erfolgen, ist zusätzlich eine beschäftigungsrechtliche Bewilligung erforderlich. Oftmals stehen sogenannte „kombinierte“ Aufenthalts- und Beschäftigungstitel zur Verfügung, wie beispielsweise die Rot-Weiß-Rot-Karte oder die Aufenthaltsbewilligung ICT (unternehmensintern transferierte Arbeitskräfte).

    Nur in bestimmten (sehr limitierten Fällen) bestehen Ausnahmen vom Erfordernis einer beschäftigungsrechtlichen Bewilligung. So sind beispielsweise kurze Geschäftsreisen für bestimmte - im Partnerschaftsabkommen genau definierte – Tätigkeiten (z.B. Teilnahme an Meetings und Konferenzen) ohne Bewilligung erlaubt.

    Darüber hinaus besteht für kurze Entsendungen (insgesamt nicht mehr als 6 Monate innerhalb von 12 Monaten) zu bestimmten Dienstleistungen (z.B. grenzüberschreitende Rechts- und Steuerberatung, Rechnungslegung, Buchhaltung, Reisebürodienstleistungen, Tätigkeit als Reiseveranstalter oder Reiseleiter) die Erleichterung, dass die entsprechenden Entsende- oder Beschäftigungsbewilligungen ohne Ersatzkraftverfahren erteilt werden.

Zur Verfügung gestellt von der KPMG Austria GmbH.

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