Bargeld: gedruckte Freiheit?

Soll Bargeld abgeschafft werden? Befürworter sehen darin die Ultima Ratio gegen Steuerbetrug, Kritiker das Ende der bürgerlichen Freiheit. Bei näherer Betrachtung ist die Debatte wesentlich weniger spektakulär, als sie scheint.


Es ist nicht ganz untypisch für Österreich, dass trockene Wirtschaftsthemen mit einem gehörigen Maß an Emotion diskutiert werden. So verhält es sich auch beim Thema Bargeld, genauer gesagt: bei der Frage, ob Münzen und Scheine künftig abgeschafft werden sollen oder nicht. Die Debatte kommt aus Skandinavien und hat mit Umweg über Deutschland nun auch uns erreicht. Befeuert wird sie vor allem von Wirtschaftswissenschaftlern und prominenten Bankern. „Es ist Konsens, dass in zehn Jahren kein Bargeld mehr existieren wird“, meinte etwa John Cryan, Chef der Deutschen Bank, im Jänner auf dem diesjährigen World Economic Forum in Davos. „Warum? Weil es ineffizient und unnötig ist und eine Schlüsselrolle bei illegalen Geschäften spielt.“ Damit spricht der Spitzenmanager ein Hauptargument für die Bargeldabschaffung an, dass dadurch nämlich Steuerbetrug die Grundlage entzogen würde. Auch Drogengeschäfte, Terrorfinanzierung und andere illegale Machenschaften scheinen ohne Bargeld nur schwer durchführbar. Auf der Hand liegt das Gegenargument, dass Finanzstrafdelikte nicht verschwinden, sondern lediglich in den Bereich der Computerkriminalität verschoben würden.

 

Reichtum im Sparstrumpf. Ein weiteres sehr beliebtes Argument hat die interessante Eigenschaft, dass es sowohl von Befürwortern wie auch von Kritikern der Bargeldabschaffung eingesetzt wird – mit jeweils entgegengesetzter Zielsetzung natürlich. Es besagt, dass Zentralbanken ohne die Existenz von Bargeld höhere Negativzinsen festsetzen könnten, welche die Bankinstitute an ihre Kunden weitergeben würden. Konsumenten hätten dann keine andere Alternative, als ihr Erspartes auszugeben. Wissenschaftler wie der Ökonom Kenneth Rogoff von der Harvard Universität begrüßen dies als potentes Mittel zum Ankurbeln des Konsums und damit der Wirtschaft. Andere sehen darin einen illegitimen Eingriff in die private Freiheit der Bürger, mit ihrem Vermögen tun zu können, was sie möchten, es im Extremfall eben auch als Bares unter dem Kopfpolster zu horten. Allerdings kann Vermögen auch anders langfristig zwischengespeichert werden, in Gold beispielsweise. Die Rechnung „Ohne Bargeld steigt der Konsum“ geht nicht zwingend auf.
 
Obergrenzen nicht ungewöhnlich. Die Politik scheint auf die Diskussion weder vorbereitet noch recht glücklich darüber zu sein, was sich hierzulande in kuriosen Ideen wie jener niederschlägt, das Recht auf Bargeldzahlung in der Verfassung zu verankern. Handelt es sich etwa um eine medial herbeigeschriebene Scheindebatte? Ernsthafte Bestrebungen, Cash zu Grabe zu tragen, gibt es seitens der Politik jedenfalls nicht. Markige Headlines wie „Die EU will uns das Bargeld wegnehmen!“ entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Übertreibung. Lediglich die Abschaffung von Ein- und Zwei-Cent-Münzen wurde von der Europäischen Kommission einmal angedacht. Etwas ernsthafter sind da schon aktuelle Überlegungen etwa Deutschlands, eine Obergrenze für Bargeldzahlungen in Höhe von EUR 5.000 einzuführen. Darüber hinausgehende Zahlungssummen müssten per Banküberweisung beglichen werden. Das ist übrigens gar nicht so revolutionär, in immerhin zwölf EU-Ländern gibt es bereits Obergrenzen.
 
Vorreiter Schweden. Österreich ohne Bargeld ist nur schwer vorstellbar. Wie sollte man beim Würstelstand bezahlen? Oder beim Zeitungsverkäufer auf der Straße? Wie soll man den Einkaufswagen im Supermarkt entsperren? Dass dies keine unüberwindlichen Schwierigkeiten sind, beweist beispielsweise Schweden. Das skandinavische Land schränkt seit einigen Jahren den Bargeldverkehr sukzessive ein – unter tatkräftiger Mithilfe der schwedischen Banken. Großbanken wie SEB oder Nordea setzen auf das mobile Zahlsystem „Swish“. Es erlaubt unkomplizierte Zahlungen via Smartphone-App. Das System erfreut sich wachsender Beliebtheit. Hinzu kommt, dass in Schweden so gut wie jedes Geschäft, selbst Straßenhändler, ein Kreditkarten-Terminal hat. Die Nachfrage ist gegeben: Laut der Studie „The Cashless Society“ der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm (KTH) werden in Schweden bereits 80 % aller Zahlungen elektronisch abgewickelt. Herr und Frau Österreicher sind demgegenüber eher Plastikgeld-Muffel. Laut aktueller Version der regelmäßig von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) durchgeführten Zahlungsmittelumfrage haben zwar 90 % aller Österreicher, die älter als 15 Jahre sind, eine Zahlungskarte (meist eine Bankomatkarte). Dennoch bezahlen drei Viertel der Bevölkerung ihre täglichen Lebensmitteleinkäufe ausschließlich oder hauptsächlich in bar. Beim Essengehen in Lokalen tun dies sogar 91 %. Beim Tanken und generell bei höheren Summen hält sich das Verhältnis bar zu Karte die Waage.
 
Gläserner Bürger. Der völlige Verzicht barer Zahlungsmittel zugunsten elektronischer hätte noch einen weiteren relevanten Effekt – das Verschwinden jeglicher Anonymität als Konsument. Individuelles Kaufverhalten wäre theoretisch lückenlos rückverfolgbar und sogar prognostizierbar. Viele Menschen fühlen sich bei dem Gedanken, als „gläserner Bürger“ durchs Leben zu gehen, nicht wohl. Eingefleischte Bargeldfreunde lassen sich auch von Studien wie jener im Vorjahr von den beiden WU-Professoren Hanns Abele und Guido Schäfer veröffentlichten nicht bekehren. Die beiden wollen herausgefunden haben, dass es für Beträge über EUR 10 volkswirtschaftlich betrachtet billiger ist, mit Plastikgeld zu bezahlen. Dabei haben sie Faktoren wie den zeitlichen Aufwand des Geldabhebens am Bankomaten oder Bankschalter ebenso miteinberechnet wie die Kosten für die Produktion von Scheinen und Münzen, Transport, Zählen oder die Entsorgung alten Geldes. Der Bargeldzahlung mit durchschnittlich 2,6 Cent Kosten pro Euro Umsatz stehen Kosten von 0,8 Cent bei Kartenzahlung gegenüber.
 
Ideales Zahlungsmittel. „Bargeld wird in Österreich deshalb so häufig bei Zahlungen und Einkäufen verwendet, weil es in den Augen der Bevölkerung dem Ideal eines Zahlungsmittels sehr nahekommt“, heißt es in der aktuellen Zahlungsmittelumfrage der OeNB. „Ideal“ heißt hierbei, dass die Zahlung unkompliziert vonstattengeht, das Zahlungsmittel möglichst universell akzeptiert wird, keine versteckten Zusatzkosten anfallen und man einen klaren Überblick über seine Ausgaben behält. Bankomat- und Kreditkarten können hier in der subjektiven Wahrnehmung der Österreicher nicht mit Bargeld mithalten. Mit seinem Ende ist also nicht so bald zu rechnen.

Text: Raimund Lang