Neuheit liegt im Auge des Betrachters

Fenster, Faschingskostüme oder Tauchermasken müssen nicht mehr neu erfunden werden. Wer aber ein Produkt designt, das etwas anders aussieht als alles, was bisher am Markt ist, sollte Musterschutz für seine Kreation anmelden.  

Text: Harald Klöckl 

Im Oktober 2024 hat der Rat der Europäischen Union eine Reform des Designschutzes auf den Weg gebracht. Konsumenten werden diese Änderung am „D im Kreis“ (analog zu ® oder ©) von geschützten Designs erkennen. Für Unternehmen und Schöpfer von neuen Designs wird es einfacher und effizienter, Produkte zu schützen. Als Kriterien für schützbares Design galten bisher im Wesentlichen Farbe, Form, Oberflächenstruktur oder Werkstoff. Künftig können auch digitale Formen, grafische Benutzeroberflächen, die räumliche Anordnung von Gegenständen (Stichwort: Metaverse) oder Animationen als neue und eigenständige Designs gelten. 

Neuheit ist gefragt, konkret geht es um relative Neuheit.

 

 

 

Neues Design muss „relativ neu“ sein. 

„Neuheit ist gefragt, konkret geht es um relative Neuheit“, sagt Elisabeth Lager-Süß, Chefin der Rechtsabteilung Internationale Marken/Designs beim Österreichischen Patentamt (ÖPA). Eine Anmeldung als Muster schützt grundsätzlich – alleine – die für das Auge wahrnehmbaren Merkmale. Ob Neuheit oder nicht wird spezifisch geprüft: Neu kann nur sein, was auch in Fachkreisen im Europäischen Wirtschaftsraum noch nie öffentlich gemacht bzw. noch nie auf Fachmessen ausgestellt wurde. Das Muster darf den Fachkreisen des betreffenden Sektors im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein.  

Die vier Mitarbeiter für Musterschutz beim ÖPA prüfen jedoch nicht, ob das Produkt ein neuartiges Design hat, sondern die „formelle“ Richtigkeit der Anmeldung: etwa, ob das Design bzw. das Produkt bei der Einreichung (bereits zu rund 90 % digital, aber auch analog noch möglich) ausreichend gut dargestellt wird, um im Streitfall möglichst gutes „Beweismaterial“ zu haben.  

Online-Einreichung mit einfacher Zeichnung. 

„Manche reichen nur einfache Zeichnungen ein, und das kann ausreichend sein. Sehr oft sind es aber auch Fotos oder färbige CAD-Zeichnungen. Wichtig ist, dass nichts anderes als das Produkt zu sehen und es gut erkennbar ist, auf maximal zehn Abbildungen“, sagt Lager-Süß. Eine Prüfung auf Neuheit, auf Eigenart oder darauf, ob das Design ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt ist, ob es ältere Musterrechte verletzt oder ob der Anmelder überhaupt Anspruch auf Musterschutz hat, erfolgt nicht. Lager-Süß: „Beratungen über den Sinn von Anmeldungen können und dürfen wir gar nicht machen.“ Sehr gute Möglichkeiten zur Recherche bezüglich „Neuheit“ bietet die auf der Webseite des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) zur Verfügung gestellte Datenbank DESIGNview. 

Wegen Tauchermasken vor Gericht. 

Die Art der Darstellung spielte tatsächlich eine entscheidende Rolle beim Streit zwischen dem Sportartikel-Giganten Decathlon und der Delta-Sport Handelskontor aus Hamburg. Es ging um das Design von Full-Face-Tauchermasken. Decathlon hatte 2013 und 2014 beim EUIPO ein derartiges Muster angemeldet. Die Delta-Sport behauptete, dass die wesentlichen Designmerkmale ebendieser Brille schon in einem Patent von 1995 aufgetaucht wären. Das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg bestätigte letztlich den Schutz für die Decathlon-Kreation. Auch mit dem Argument, dass es sich bei den Ähnlichkeiten um übliche funktional bedingte Merkmale aller Full-Face-Masken handle.   

Designstreit um Axolotl-Kostüme. 

Bei einem ähnlich haarspalterisch anmutenden Streit vor dem EUIPO zwischen zwei chinesischen Streitparteien um die Designs von Axolotl-Faschingskostümen machte die Verliererpartei den Fehler, ihr Produkt zu früh zum Verkauf anzubieten. Hintergrund: Grundsätzlich gibt es in Österreich wie auch in vielen anderen Ländern eine „Neuheitsschonfrist“. Damit hat der Designer bis zu einem Jahr Zeit, seine schon öffentlich gemachte oder im Verkauf befindliche Kreation als Muster anzumelden. Das passierte in diesem Fall aber erst nach mehr als einem Jahr.  

Ein Muster mit (Vermögens-)Wert. 

Wer ein Design durch Musterschutz vor Nachahmung schützen lassen will, muss eine Produktkategorie nach der „Locarno-Klassifikation“ auswählen. Es wird zwischen Einzelmuster (eine Kreation in einer Ausführung) und Sammelmuster unterschieden: Letzteres ist ein Gegenstand in verschiedenen Ausführungen oder mehrere Gegenstände einer einzigen Warenklasse. Der Designschutz ist dann ein territorial und auf maximal 25 Jahre begrenztes Ausschließungsrecht: Nichtberechtigte dürfen den geschützten Gegenstand weder benutzen, herstellen noch in Verkehr bringen oder zu diesen Zwecken besitzen. 

Beim ÖPA gibt es etwa 500 Anmeldungen pro Jahr, erzählt Elisabeth Lager-Süß: „Am meisten im Bereich Interior Design, von Möbeln bis zu Fenstern und Scharnieren. Man sollte die im günstigsten Fall knapp über 100 Euro für die Anmeldung mit registriertem Schutz investieren. Ein registriertes Schutzrecht ist ein Vermögenswert und kann verkauft, lizenziert, verpfändet oder vererbt werden.“ Eine Sammelmuster-Anmeldung mit zehn Mustern aus derselben Locarno-Klasse kostet beim ÖPA 327 Euro, für mehr Anmeldungen gibt es Rabatte. Europäische Anmeldungen beim EUIPO gibt es ab 350 Euro, territorial noch weiter reicht der Musterschutz beim Haager Musterabkommen (WIPO).  

Kein Musterschutz für Autoteile. 

Mit der Reform des Designschutzes in Europa wird es für Designer und KMU leichter und günstiger, Muster anzumelden – etwa auch Autoersatzteile, was wiederum für Konsumenten relevant ist: Die sogenannte „Reparaturklausel“ bei der Reform bewirkt, dass etwa für Stoßstangen, die exakt wie das Original-Produkt des Herstellers aussehen (müssen), der Designschutz explizit abgeschafft ist. Mitbewerber können also exakte Kopien billiger anbieten. Nach EU-Berechnungen ersparen sich Konsumenten damit binnen zehn Jahren zwischen 340 und 544 Millionen Euro – allein durch billige, weil legal nachgebaute Ersatzteile. 

 

Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 03/2025.