Offener Brief an die Österreichische Bundesregierung

Zum Gesetzespaket zur Betrugsbekämpfung betreffend das österreichische Insolvenzwesen

Als Österreichs führender Gläubigerschutzverband mit 34.000 Mitgliedern sehen wir uns in der Verantwortung, jegliche Novellierungen, die Insolvenzgesetzgebung betreffend, zu prüfen und deren Auswirkungen für die Wirtschaftstreibenden zu analysieren. Anlass dieses Briefes ist die geplante Novellierung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) und der Bundesabgabenordnung (BAO) im Rahmen des Gesetzespakets zur Betrugsbekämpfung 2025 (BBKG 2025). Insbesondere dem Plan, dass die zu entrichtende Lohn-, Umsatz- und Kapitalertragsteuer von Anfechtungen nach der Insolvenzordnung ausgenommen werden soll, stehen wir äußert kritisch gegenüber.

Die Auswirkungen aus KSV1870 Sicht: 

  1. Zukünftig sollen von Unternehmen vor Insolvenzeröffnung geleistete Sozialversicherungsbeiträge sowie Abzugssteuern, wie die Lohn- und Umsatzsteuer, von der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter ausgenommen werden. Er kann sie damit nicht mehr zurückfordern. Den restlichen Gläubigern käme dieses Privileg jedoch nicht zugute. Sie würden weiterhin das Risiko tragen, dass zeitnah vor der Insolvenzeröffnung erhaltene Zahlungen vom Insolvenzverwalter angefochten werden. Dies ist ein massiver Eingriff in den seit mehr als 40 Jahren geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz der Gläubiger im Insolvenzverfahren. Genau dieser Grundsatz ist jedoch eine der tragenden Säulen der Insolvenzordnung in Österreich und begründet wesentlich deren Erfolg.
     
  2. Mit den angedachten Änderungen würde der Ungleichbehandlung der Gläubiger Tür und Tor geöffnet werden und der so genannte „Klassenkonkurs“, den es in Österreich bereits gab, würde wieder aufleben. Im Jahr 1982 wurde der Klassenkonkurs aus gutem Grund einstimmig abgeschafft, da die negativen Folgewirkungen für die Wirtschaft massiv waren. Die Quoten für die Gläubiger waren sehr niedrig, während Österreich heute - was Quoten und erfolgreiche Sanierungen betrifft - europäischer Spitzenreiter ist. Auch kam es seinerzeit zu sehr vielen Folgekonkursen, die wiederum die Arbeitslosigkeit befeuert haben. Kurzum: Der volkswirtschaftliche Schaden war immens und niemand kann sich diesen Zustand wieder herbeisehnen. 
     
  3. Aktuell werden durchschnittlich 57 Prozent aller Insolvenzanträge durch Gläubiger beantragt, davon rund die Hälfte durch die Finanzverwaltung und den Sozialversicherungsträger. Die Praxis zeigt, dass durch die Geltendmachung und Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen beträchtliche Beträge für die Insolvenzmasse lukriert werden. Von den entsprechenden Rückflüssen profitieren alle Gläubiger gleichermaßen. Damit dies weiterhin möglich ist, darf es jedoch zu keinem Ausschluss von Anfechtungsmöglichkeiten für einzelne Gläubigergruppen kommen. 
     
  4. Darüber hinaus würden wir einen Anstieg der abgewiesenen Insolvenzen mangels Masse erwarten. Aktuell reichen die finanziellen Mittel bei durchschnittlich knapp 40 Prozent der insolventen Betriebe nicht aus, um ein Verfahren zu eröffnen. Ein professionell abgewickeltes Insolvenzverfahren ist in diesen Fällen schon jetzt nicht möglich. Damit können auch keine Quotenzahlungen an die Gläubiger ausgeschüttet werden (und hier insbesondere an die öffentliche Hand) - der volkswirtschaftliche Schaden würde weiter steigen.
     
  5. Wie ausgeführt, stellen öffentliche Einrichtungen rasch Insolvenzanträge und nehmen damit auch eine wichtige Funktion im Wirtschaftsgefüge ein. Durch dieses Vorgehen sorgen sie unter anderem dafür, dass zahlungsunfähige Unternehmen rechtzeitig vom Markt genommen werden. Diese marktbereinigende Wirkung würden sie in Zukunft in diesem Umfang nicht mehr wahrnehmen. Es steht zu befürchten, dass vermehrt von der Antragstellung abgesehen wird und häufiger der Exekutionsweg bzw. Ratenzahlungsvereinbarungen erwogen wird. Die Folge: Insolvenzverfahren werden zu spät eröffnet, das Kapital wäre großteils „verbrannt“ und den betroffenen Gläubigern drohen erhebliche Verschlechterungen der zu erwartenden Quoten. 
     
  6. Als besonders schwierig erachten wir, dass sich Unternehmen strafbar machen, wenn sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Gläubiger begünstigen bzw. zumindest einen benachteiligen oder die Insolvenz verschleppt wurde. Die neuen Bestimmungen würden strafbare Handlungen fast schon befördern und könnten dazu führen, dass Schuldner strafrechtlich verurteilt werden und inkriminierte Zahlungen nicht an die Insolvenzmasse zurückgeführt werden können.

Wir appellieren daher dafür, von den geplanten Änderungen in der gegenständlichen Form Abstand zu nehmen und die Novellierungsbestrebungen zu überdenken.

Wir befürworten die intensiven Bemühungen der österreichischen Bundesregierung zur Budgetstabilisierung, möchten aber festhalten, dass die Bewältigung dieser Herausforderung keinesfalls zulasten der Unternehmen erfolgen darf, die sich seit einigen Jahren ohnehin in einer schweren Rezession befinden. Darüber hinaus dürfen wir festhalten, dass die geplanten Änderungen im Bereich des ASVG und der BAO in keinster Weise dazu beitragen, den Steuer- und Abgabenbetrug zu bekämpfen. Tatsächlich prognostizieren wir massive negative Auswirkungen auf das Insolvenzgeschehen und die Rückkehr zu einem Modus Vivendi, den das Land bereits einmal aus guten Gründen abgeschafft hat. Abschließend gilt es noch festzuhalten, dass die geplanten Änderungen ebenso im Widerspruch zu den Harmonisierungsbestrebungen der Europäischen Union in Bezug auf das Insolvenzrecht stehen.

Offener Brief zum Gesetzespaket zur Betrugsbekämpfung betreffend das österreichische Insolvenzwesen