Bonität als Anker in unsicheren Zeiten

Die Unternehmenspleiten erreichten 2024 einen Höchststand und setzen Betriebe unter Druck. Bonität wurde zum Schlüsselfaktor, doch strengere Regulierungen und neue Analysemethoden verändern die Spielregeln. 

Text: Stephan Scoppetta

Österreichs Wirtschaft steht unter Druck: Laut der KSV1870 Insolvenzstatistik für das Jahr 2024 verzeichnete das Land im vergangenen Jahr insgesamt 6.587 Unternehmensinsolvenzen – ein alarmierender Höchststand. Besonders betroffen waren Handel, Bauwirtschaft sowie Beherbergung und Gastronomie. Die Zahl der Großinsolvenzen mit Passiva über zehn Millionen Euro hatte sich auf 86 Fälle nahezu verdoppelt, während sich die Gesamtverbindlichkeiten um 35 % auf 18,9 Milliarden Euro erhöhten. Doch damit nicht genug: Über 50.000 Gläubiger und fast 30.000 Arbeitnehmer sind betroffen, und das Risiko von Kettenreaktionen wächst. Für 2025 rechnet der KSV1870 mit 6.500 bis 7.000 Insolvenzen. In diesem angespannten Umfeld rückt die Bonität stärker in den Fokus. Denn je mehr Unternehmen in die Pleite rutschen, desto größer wird die Gefahr, dass auch finanziell stabile Betriebe ins Straucheln geraten. Umso wichtiger ist es, die eigene finanzielle Stabilität zu sichern und die Bonität potenzieller Geschäftspartner sorgfältig zu prüfen. Philipp Rath, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Präsident der Vereinigung österreichischer Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder (VWT): „In einem herausfordernden wirtschaftlichen Umfeld gewinnt die Bonität zunehmend an Bedeutung. Mit jeder Insolvenz steigt das Risiko, dass selbst finanziell solide Unternehmen in Schwierigkeiten geraten. Daher ist es entscheidend, die eigene finanzielle Stabilität zu wahren und die Kreditwürdigkeit potenzieller Geschäftspartner genau zu analysieren.“ 

Vom Kreditschutz zur weltweiten Finanzbewertung. 

Die Geschichte der Bonitätsbewertung reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück und spiegelt die wachsende Bedeutung finanzieller Verlässlichkeit in der Wirtschaft wider. Bereits 1841 gründete Lewis Tappan in New York die erste Handelsauskunftei, die später von Robert Dun übernommen wurde. 1859 erschien der erste Bonitätsleitfaden, der Unternehmen eine einheitliche Grundlage zur Bewertung der Kreditwürdigkeit bot. In Europa folgte 1870 in Wien die Gründung des Kreditschutzverbandes von 1870 (KSV1870), der als erste Organisation dieser Art systematisch wirtschaftliche Risiken analysierte. Diese Entwicklungen legten den Grundstein für moderne Bonitätsprüfungen. Anfang des 20. Jahrhunderts professionalisierten sich die Verfahren weiter: John Moody führte 1909 die ersten Kreditratings für Eisenbahnanleihen ein, und 1916 folgte Poor’s Publishing Company mit eigenen Ratings – Meilensteine, die das Fundament für heutige Kreditbewertungsagenturen wie Moody’s und Standard & Poor’s bildeten. 

Bonität als wirtschaftlicher Stabilitätsfaktor. 

Ein gutes Bonitätsrating signalisiert eine stabile wirtschaftliche Basis.

Heute ist die Bonität mehr als nur eine Kennzahl – sie entscheidet über Geschäftsbeziehungen, Finanzierungsmöglichkeiten und wirtschaftlichen Erfolg. Sie zeigt an, inwieweit ein Unternehmen oder eine Privatperson in der Lage ist, finanzielle Verpflichtungen fristgerecht zu erfüllen. Ein gutes Bonitätsrating signalisiert eine stabile wirtschaftliche Basis und erleichtert den Zugang zu Krediten und Verträgen, während eine schwache Bonität Unternehmen unter Druck setzt und das Insolvenzrisiko erhöht. Gerade angesichts steigender Firmenpleiten in Österreich ist ein kritischer Blick auf die Bonität von Geschäftspartnern wichtiger denn je. „Im Rahmen der Bonitätsprüfung werden vom KSV1870 wichtige Parameter wie etwa das Zahlungsverhalten, die Umsatzentwicklung oder die Eigenkapitalquote erhoben und bewertet“, erklärt Gerhard Wagner, Geschäftsführer der KSV1870 Information GmbH. Moderne Ratingsysteme und Datenanalysen ermöglichen eine präzisere Risikoeinschätzung und helfen, finanzielle Ausfälle zu vermeiden – ein Prinzip, das seit über 150 Jahren die Wirtschaft stabilisiert. Rath: „Positive Bonitätsbeurteilungen unterstützen bei Verhandlungen über längere Zahlungsziele, helfen, die Liquidität im Unternehmen zu sichern, und tragen dazu bei, über den Bilanzstichtag eine vorteilhafte Bilanzstruktur zu erzielen.“ 

Maßgeschneiderte Lösungen für unterschiedliche Geschäftsmodelle. 

Die Art der Bonitätsprüfung hängt stark von der jeweiligen Geschäftssituation ab. Während eine punktuelle Prüfung vor der Vergabe eines Kredits oder bei einmaligen Geschäftsbeziehungen eine Momentaufnahme der finanziellen Lage liefert, setzen Unternehmen mit langfristigen Partnerschaften zunehmend auf ein kontinuierliches Monitoring. Der KSV1870 bietet mit seinem BonitätsMonitor eine Lösung, die Unternehmen in Echtzeit über Änderungen im Bonitätsrating ihrer Geschäftspartner informiert. Dies ermöglicht frühzeitige Maßnahmen, um finanzielle Risiken zu minimieren. 

Besonders in Branchen mit hohen finanziellen Verbindlichkeiten ist eine zuverlässige Bonitätsbewertung unerlässlich. Banken und Versicherungen stützen sich bei Kreditvergaben und Vertragsabschlüssen auf diese Daten, während Telekommunikationsunternehmen und Energieversorger Bonitätsprüfungen für Vertragsentscheidungen nutzen. „Ein positives Rating stellt daher einen guten Indikator für Investoren und Banken in Bezug auf Kreditvergaben dar“, so Wagner. Im Online-Handel sind sie entscheidend für die Vergabe von Zahlungszielen, ebenso wie bei Leasingverträgen und Mietverhältnissen. Auch in der Bau- und Einrichtungsbranche spielen Bonitätsprüfungen bei Großaufträgen eine zentrale Rolle. Eine falsche Einschätzung der Kreditwürdigkeit kann hier zu erheblichen finanziellen Verlusten führen. 

Präzise Prognosen und neue Bewertungsmethoden. 

Die Effektivität solcher Bewertungen zeigt sich in Zahlen: Laut KSV1870 signalisiert das Bonitätsrating in 85 % der Insolvenzen bereits ein Jahr im Voraus ein erhöhtes Risiko. Unternehmen mit schlechter Bonität zahlen zudem oft überdurchschnittliche Zinssätze und verlieren potenzielle Investoren oder Geschäftspartner. Auch Versicherungsunternehmen nutzen Bonitätsprofile, etwa zur Risikobewertung, was zu höheren Prämien führen kann. Neue Entwicklungen im Bereich der Bonitätsbewertung gehen zudem über klassische Kreditdaten hinaus: Die European Banking Authority (EBA) identifiziert in ihrem Bericht von August 2024 den verstärkten Einsatz von Open-Banking-Daten, digitalen Fußabdrücken und KI-gestützter Risikoanalyse als Zukunftstrends. In der Praxis bedeutet dies genauere Bewertungen, insbesondere für Kunden mit geringer Kredithistorie.  

Während Banken und Versicherungen immer komplexere Risikomodelle entwickeln, setzen E-Commerce, Telekommunikation und Energieversorger auf automatisierte Bonitätsprüfungen für schnelle und präzise Entscheidungen. In einem wirtschaftlich unsicheren Umfeld bleibt die Kreditwürdigkeit daher ein entscheidender Faktor für einen nachhaltigen Geschäftserfolg. 

Unterschiedliche Bonitätsstandards weltweit. 

Die Bonitätsbewertung variiert je nach Region erheblich. In den USA dominieren die Kreditauskunfteien Equifax, Experian und TransUnion, wobei der FICO Score als Standard für Kreditwürdigkeitsprüfungen gilt. In Europa sind die Systeme mehr national geprägt: In Deutschland spielt die Schufa eine zentrale Rolle, in Österreich der KSV1870, während Großbritannien auf die bekannten US-Anbieter setzt. Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt, dass sich nicht nur die Erfassung und Verarbeitung von Bonitätsinformationen weltweit voneinander unterscheiden, sondern auch die regulatorischen Rahmenbedingungen stark variieren. Während die Europäische Union strenge Datenschutzrichtlinien verfolgt, setzen einige asiatische Länder zunehmend auf alternative Datenquellen wie soziale Medien – ein Trend, der Fragen zur Fairness und zum Schutz persönlicher Informationen aufwirft. 

Auswirkungen auf Österreichs Exportunternehmen. 

Für exportorientierte österreichische Unternehmen sind diese Unterschiede besonders relevant. Mit einer Exportquote (Jahr 2023) von 59 % des BIP sind sie stark vom internationalen Handel abhängig. Unterschiedliche Bonitätsbewertungssysteme können jedoch Kreditvergaben und Zahlungsbedingungen erschweren, was finanzielle Risiken mit sich bringt. Die globale Finanzkrise von 2008 führte zu strengeren Regulierungsvorgaben, insbesondere durch die Basel-III-Richtlinien, die Banken zu einer präziseren Kreditrisikobewertung verpflichten. Dennoch bleibt die Vergleichbarkeit von Bonitätsbewertungen über Ländergrenzen hinweg eine Herausforderung. Um sich abzusichern, greifen österreichische Unternehmen zunehmend auf Exportgarantien der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB) zurück, die die wirtschaftlichen und politischen Risiken minimieren und den Zugang zu Finanzierungen erleichtern. Diese Instrumente tragen wesentlich dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Exporteure in einem uneinheitlichen globalen Bonitätssystem zu sichern. 

Wichtiges Fundament wirtschaftlicher Stabilität. 

Die Bonität ist der Schlüssel zu Vertrauen und Sicherheit in Geschäftsbeziehungen. In einer vernetzten Wirtschaftswelt hilft sie Unternehmen, Risiken zu minimieren, Zahlungsausfälle zu vermeiden und bessere Finanzierungsbedingungen zu sichern. Moderne Bonitätsbewertungssysteme bieten verlässliche Entscheidungsgrundlagen, doch internationale Unterschiede und der Einsatz alternativer Datenquellen bringen neue Herausforderungen mit sich. Trotz dieser Dynamik bleibt die Bonitätsbewertung ein unverzichtbares Instrument für wirtschaftlichen Erfolg und finanzielle Stabilität – national wie global. 

 

Wiener Städtische Versicherung AG 

Gerald Weber, Vorstand 

Die Bonität der Emittenten spielt für uns als große Versicherung eine ganz zentrale Rolle in der Veranlagung. Immerhin verwalten wir ein Volumen von rund 23 Milliarden Euro – und das wird sicher und ertragreich für unsere Kunden investiert. Da wir traditionell ein großes Anleihenportfolio – nicht nur Staats-, sondern auch Unternehmensanleihen – haben, kommt Ratings eine große Bedeutung zu. Neben externen Ratings von renommierten Agenturen wie S&P, Moody’s und Fitch werden die investierten Unternehmen auch intern analysiert. Diese Analyse umfasst sowohl quantitative als auch qualitative Faktoren. Die quantitativen Kriterien sind klassische Finanzkennzahlen wie Profitabilität und Verschuldung. Diese werden über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet, um Trends zu erkennen, und mit Vergleichsunternehmen desselben Sektors abgeglichen. Die qualitativen Faktoren umfassen unter anderem die Qualität des Managements, die Wachstumsstrategie und weitere relevante Aspekte. In Kombination mit den externen Ratings haben wir eine sehr solide Basis, um für unsere Kunden einen Mehrwert zu erwirtschaften. 

 

METRO AG 

Welche Rolle spielt die Bonität der METRO AG bei der Verhandlung von Einkaufskonditionen und Zahlungszielen mit Lieferanten? 

Bei den Verhandlungen mit unseren Lieferanten wird die Bonität der METRO AG zugrunde gelegt, da die METRO AG ihre Tochtergesellschaften unter anderem auch finanziell unterstützt. Die Bonität von METRO befindet sich im Investment-Grade-Bereich. Über die Bonität hinaus zählen unsere guten und teilweise jahrzehntelangen Beziehungen mit unseren Lieferanten und die Bemühung, eine beidseitig partnerschaftliche Lösung für Einkaufskonditionen und Zahlungsziele zu vereinbaren. 

In Zeiten steigender Zinsen und wirtschaftlicher Unsicherheiten – welche Maßnahmen setzt METRO, um die eigene Liquidität zu sichern, die Bonität zu steigern und finanzielle Stabilität zu gewährleisten? 

Eine finanzielle Stabilität ist durch unsere umsichtige Finanzpolitik und durch den breiten Zugang zum Banken- und Kapitalmarkt auch weiterhin priorisiert. METRO hat ein gruppenweites Cost-Leadership-Programm entwickelt, das zusätzlich zu sCore, unserer Wachstumsstrategie, darauf abzielt, unsere Profitabilität und damit auch unseren Free Cashflow zu verbessern. Darüber hinaus haben wir fällige Anpassungen im Sortimentsbereich mit Fokus auf das Gastro-Profisortiment vorgenommen und zum Beispiel die Effizienzen in unseren Vorräten gehoben. 

Wie bewerten Sie die zukünftige Entwicklung der Bonitätsanforderungen im Handelssektor? 

Das Umfeld im Handel bleibt anspruchsvoll. Wir sehen unsere sCore-Strategie als wesentlichen Treiber dafür, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, um für unsere Kunden und Lieferanten als Multichannel-Großhändler ein verlässlicher und positiver Partner zu bleiben, der mit einem relevanten und wettbewerbsfähigen Leistungsversprechen überzeugt.  

 

Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 01/2025.