„Die Finanzkrise war ein großer Gamechanger“

Arnold Schuh, Direktor des Kompetenzzentrums für Emerging Markets & Mittel- und Osteuropa an der Wirtschaftsuniversität Wien, spricht im Interview darüber, welche wirtschaftliche Bedeutung Osteuropa für Österreichs Unternehmen hatte? Oder vielleicht noch immer hat. 

Interview: Raimund Lang

Portraitfoto von Arnold Schuh, Direktor des Kompetenzzentrums für Emerging Markets & Mittel- und Osteuropa an der Wirtschaftsuniversität Wien
Arnold Schuh, Direktor des Kompetenzzentrums für Emerging Markets & Mittel- und Osteuropa an der Wirtschaftsuniversität Wien

Die Märkte im Osten und die damit verbundenen Chancen für Österreichs Unternehmen – eine schöne Erinnerung an die vergangenen Jahrzehnte oder nach wie vor Realität?

Arnold Schuh: Der Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 war – neben dem EU-Beitritt – sicher das wichtigste Ereignis in der Geschichte der österreichischen Wirtschaft. Damals hat alles begonnen, es ist zusammengewachsen, was zusammengehört. Für die Unternehmen hat sich plötzlich ein riesiger Absatzmarkt in direkter Nachbarschaft eröffnet, der im Vergleich zu Westeuropa noch einiges an Aufholbedarf hatte. Diese Aufbruchsstimmung ist heute in den meisten Ländern vorbei. Stattdessen erleben wir eine Konsolidierungsphase. 

Haben Krisen das rasante Wachstum gedämpft?

Die Finanzkrise von 2009 war ein großer Gamechanger. Insbesondere die Banken hat es damals hart erwischt. Ab da war die Wachstumseuphorie in Mittel- und Osteuropa irgendwie zu Ende. Investoren haben sich teilweise aus peripheren Märkten zurückgezogen. Mit der Krise von 2009 ist das ganze Modell infrage gestellt worden. Um die Jahre 2014 und 2015 gab es dann wieder einen kleinen Aufschwung. Aber dann kam mit der Corona-Pandemie die nächste Krise. Und jetzt der Ukraine-Krieg. Solche Krisen haben natürlich enorme Auswirkungen auf die Volkswirtschaften. Denn die leiden auch nachher noch jahrelang. Es fehlt an Kaufkraft, es gibt Verzerrungen in der Nachfrage. Bei Corona haben wir das deutlich gesehen: Als die Nachfrage ganz plötzlich wieder nach oben geschnellt ist, gab es nicht genug Kapazitäten, um sie zu bedienen. Die Folge waren Lieferprobleme und explodierende Logistikkosten, etwa bei Containerschiffen.

War das Engagement westlicher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa rückblickend ein Erfolg?

Ganz sicher. Nicht nur, weil es Absatzmärkte für westeuropäische Unternehmen geboten hat und noch immer bietet. Sondern auch, weil die Unternehmen sehr rasch das Lohngefälle in diesen Ländern zu nutzen verstanden haben. Sie haben begonnen, in diesen Ländern zu produzieren. Ein großer Teil des Wirtschaftsaufschwunges der vergangenen 20 Jahre basiert darauf, lohnintensive Arbeit in Niedriglohnländer auszulagern. Das ist allerdings jetzt durch die explodierenden Energiepreise stark gefährdet.

Welche Rolle hat die EU bei dieser Entwicklung gespielt?

Eine große, weil sie die Rahmenbedingungen schafft. Ich sehe keine Alternative zur EU. Man braucht sich ja nur den heutigen Westbalkan anzusehen und mit der Entwicklung der mittel- und südosteuropäischen Länder in den vergangenen Jahren zu vergleichen. Die Länder am Westbalkan müssen sich fast neu erfinden. Und dafür braucht es einen Fahrplan, der nicht nur die Wirtschaft, sondern auch zum Beispiel Infrastruktur und gesellschaftliche Bereiche beinhaltet. Außerdem gibt es von der EU Geld für diese Länder, damit sie den Anschluss schaffen.

Gibt es innerhalb der EU derzeit Länder, die Sie als „Emerging Markets“ bezeichnet würden?

Als Schwellenland im strengen Wortsinn sicher nicht. Aber es gibt Länder, die in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation nachhinken. 

Sind das die neuen Zielländer für westliche Unternehmen?

Einerseits ja, weil es dort Aufholbedarf gibt. Und das ist für exportorientierte Unternehmen immer interessant. Die Frage ist aber: Welche Investitionen sind notwendig, um in so einen Markt einzutreten? Je kleiner ein Markt ist, desto schwieriger ist es, besonders wenn der noch in einem transformativen Stadium ist. Aus österreichischer Sicht kann es sinnvoll sein, sich dort zu engagieren. Aber für die wirklich großen Player sind diese Länder als Absatzmärkte wohl zu klein: Montenegro hat 600.000 Einwohner, Nordmazedonien 1,8 Millionen, Bosnien etwas mehr als drei Millionen und Serbien knapp sieben. Hinzu kommt, dass Entscheidungen heute nicht mehr ausschließlich in der Unternehmenszentrale im Westen getroffen werden, sondern dass die lokalen Tochtergesellschaften zunehmend Mitspracherecht haben. Die kennen die Gegebenheiten ja auch viel besser und erkennen Geschäftschancen, die von Wien oder Berlin aus vielleicht gar nicht wahrgenommen werden.

Wohin sollte ein österreichisches, mittelständisches Unternehmen, das vielleicht schon erste Exporterfahrungen gemacht hat, heute schauen?

Derzeit ist Rumänien hochspannend, die rumänische Wirtschaft wächst aktuell von allen EU-Ländern am stärksten. Hier gibt es insbesondere Potenzial im Energiebereich.

Es kommt auf die Branche an, dann sind die Länderhierarchien relativ klar. Für IT-Unternehmen zum Beispiel steht Estland ganz oben. Länder wie Tschechien oder Slowenien sind heute astreine europäische Staaten, da gibt es kaum mehr Unterschiede zu Westeuropa. Auch Polen und die Slowakei haben sich hervorragend entwickelt. Derzeit ist Rumänien hochspannend, die rumänische Wirtschaft wächst aktuell von allen EU-Ländern am stärksten. Hier gibt es insbesondere Potenzial im Energiebereich. Die OMV will dort das größte Erdgasprojekt innerhalb der EU entwickeln. Am Westbalkan sehe ich derzeit wenig Potenzial. Andererseits gibt es immer Nischen. Grundsätzlich sollte man auf die Stärken eines Landes schauen. Dann kann man von jedem Land noch etwas lernen. Denn es gibt ja überall kreative und unternehmerisch denkende Menschen.

 

Aus dem KSV1870 Magazin forum.ksv - Ausgabe 3/2023.