Im Würgegriff der Pandemie

Einbruch oder Beinbruch? Österreichs Wirtschaft hofft nach einem Jahr Corona-Krise auf ein baldiges Comeback. Damit aus der Rezession eine Chance für den Strukturwandel wird, braucht es Maßnahmen – für Arbeitsmarkt, Bildung und den Kapitalmarkt.

Text: André Exner

Wirtschaftslage in Bezug auf Coronavirus

Ölpreis, Zinsen, Inflation: Wo herkömmliche Wirtschaftsindikatoren auf dem Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr 2020 versagten, war auf den „Kaffeeindikator“ Verlass. Denn der Automatenbetreiber café+co weiß immer genau, wie es einem Unternehmen geht – der Kaffeekonsum der Mitarbeiter ist der beste Hinweis. Und im März und April 2020 sank der Verbrauch selbst bei Umsatz-Milliardären der heimischen Wirtschaft praktisch auf null.

Ein Jahr und mehr als 160 Lockdown-Tage später machen Meldungen über mögliche Therapien gegen das Corona-Virus die Runde, während zur Vorbeugung wirksame Impfungen anrollen. Vor allem produzierende Betriebe, wo Homeoffice keine Alternative darstellt, hoffen, dass die versprochenen Impfstoffmengen bald geliefert werden. „Wir stellen bei unseren Mitgliedsbetrieben eine hohe Bereitschaft fest, gemeinsam zur Bekämpfung der Covid-19-Krise beizutragen“, sagt Thomas Mühl, Geschäftsführer des Verbands der Österreichischen Beton- und Fertigteilwerke (VÖB). „Zunächst wurden hygienische Maßnahmen umgesetzt, um eine sichere Produktion zu gewährleisten. Dies gilt auch für Testungen: Wenn nötig, lassen Werke alle auf Firmenkosten testen. Nun hoffen wir, dass Mitarbeiter rechtzeitig geimpft werden können – nicht zuletzt, weil die Bauwirtschaft in Österreich ein ganz wichtiger Konjunkturmotor ist.“

Zeitfenster schließt sich.

Dass vorerst zu wenig Impfstoff kommt, verlangsamt zwar die Erholung im Frühjahr, kann aber langfristig sogar zum Vorteil werden: Verzögerungen bei den Lieferungen können dazu genützt werden, den absehbaren Druck auf den Arbeitsmarkt – und damit auf die Konjunktur – abzubauen. Denn das Zeitfenster schließt sich. In dem Ausmaß, wie die Durchimpfungsrate der Bevölkerung steigt, rücken die gesundheitlichen Folgen der Pandemie in den Hintergrund, und der Schwerpunkt verlagert sich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen.

Anders als vor der Pandemie steht die Uhr auf dem Arbeitsmarkt auch aus Sicht der Arbeitgeberseite auf fünf vor zwölf. „Zu Beginn hat die österreichische Politik rasch, großvolumig und symmetrisch zur Dämpfung der negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie reagiert“, so Christian Helmenstein, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica der Industriellenvereinigung (IV). „In dieser Weise einem negativen externen Schock historischen Ausmaßes zu begegnen war konzeptionell angemessen – beispielsweise keine branchenmäßige Differenzierung des Kurzarbeitsregimes vorzunehmen – und tempomäßig vorbildlich, etwa im Vergleich zur europäischen Ebene. Daher ist Österreich gesundheitlich viel besser durch die Pandemie gekommen als andere Länder.“

Stabilitätspolitische sind durch strukturpolitische Maßnahmen abzulösen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf drei Bereiche gelegt werden: die Re- und Umqualifizierung von Erwerbspersonen, die Eigenkapitalstärkung sowie die Risikoabsicherung von Übernahmen insolventer Unternehmen durch andere inländische Unternehmen.

Wirtschaft vs. Gesundheit.

Durch die vielen Lockdown-Tage war aber auch die Wirtschaft stärker betroffen: So war in Nachbarländern wie der Schweiz, Slowakei oder Tschechien der BIP-Einbruch 2020 geringer. Allerdings wütet dort aufgrund des lockereren Umgangs die Pandemie stärker. Bedenkt man Langzeitfolgen der Krankheit und die teilweise lange Rekonvaleszenz, dürfte Österreich langfristig die bessere Strategie gewählt haben, meinen Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertreter. Mit fortschreitendem Pandemieverlauf ist jedoch eine Re-Fokussierung des wirtschaftspolitischen Handelns geboten, sagt Helmenstein: „Stabilitätspolitische sind durch strukturpolitische Maßnahmen abzulösen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf drei Bereiche gelegt werden: die Re- und Umqualifizierung von Erwerbspersonen, die Eigenkapitalstärkung sowie die Risikoabsicherung von Übernahmen insolventer Unternehmen durch andere inländische Unternehmen.“ Wirtschaftsforscher warnen: Ohne solche Maßnahmen entgehen Österreich Einkommenserzielungschancen. So wird sich trotz hoher Arbeitslosigkeit schon bald wieder ein Fachkräftemangel einstellen. Auch geht der infolge von Insolvenzen erzwungene Marktaustritt von Unternehmen mit einem Verlust an Organisations-, Netzwerk- und Reputationskapital einher, dessen Erhalt einen kräftigeren Aufschwung ermöglichen würde. In vielen Bereichen suchen kapitalstarke Geldgeber bereits Schnäppchen – vom angeschlagenen Luxushotel bis zum an Liquiditätsmangel leidenden Luftfahrtzulieferer.

Firmen-Schnäppchenjäger kommen.

Dass sich die Branchenzusammensetzung und die Eigentümerstruktur der heimischen Ökonomie nachhaltig verändern werden, gilt für Experten unbestritten als eine der deutlichsten wirtschaftlichen Langzeitfolgen der Pandemie. Denn was die langfristigen Aussichten angeht, tickt jede Branche unterschiedlich, und überall gibt es potenzielle Verlierer und Gewinner. Wo kein Stein auf dem anderen bleiben dürfte, sind neben dem bereits durch einige aufsehenerregende Pleiten durchgerüttelten Handel die Bereiche Gastronomie und Tourismus. „Die Bewältigung der Krise ist für den Tourismus ein Marathon und kein Sprint“, meint Markus Gratzer, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). Denn auch die Schätzungen des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO sind ernüchternd: Die Wintersaison ist ein Totalausfall, was tiefe Wunde in den Bilanzen hinterlässt: „Den Betrieben geht die Luft aus, das Finish ist aber noch lange nicht in Sicht“, verweist Gratzer auf die laut WIFO erst in zwei Jahren erwartete Normalisierung der Nachfrage. Die prekäre Lage bestätigt auch eine aktuelle ÖHV-Umfrage: Ohne einen raschen Rebound dürfte bis Jahresende etwa ein Drittel aller Hotels geschlossen werden und mit einem neuen Betreiber oder gar einem neuen Nutzungskonzept als Wohnimmobilie den Neustart wagen.

Liquidität ist das A und O.

Während bei den einen der Umsatz noch länger auf dem Nullpunkt verharrt, werden andere die Monate ohne Umsatz mit Riesenschritten aufholen müssen – wobei Hilfen so zögerlich fließen, dass kleine Betriebe ohne Reserven ums Überleben kämpfen. „Wir warten noch auf das Kurzarbeitsgeld für November“, sagt Gottfried Kraft, Geschäftsführer KLIPP Frisör. „Teilweise wird bei hunderttausenden Euro wegen 100 Euro mit der Behörde gestritten. Wir sind sehr eigenkapitalstark in die Krise gegangen und sehen: Liquidität zu sichern ist das A und O.“ Kraft wünscht sich nach Auslaufen der Hilfen eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten und einen klaren Fokus auf Bildung, um dem drohenden Facharbeitermangel entgegenzuwirken. Tatsächlich wird der auch von den Sozialpartnern befürchtete Mangel an Fachkräften inzwischen auch in jenen Branchen akut, die die Corona-Krise bisher unbeschadet überstanden haben. VÖB-Geschäftsführer Mühl hofft auf die Einsicht der Politik, dass das den Aufschwung zunichtemacht. Es gilt, Unternehmen und ihre Betriebsärzte bei der Impfstrategie einzubinden – geimpfte Mitarbeiter könnten zudem auch aus dem Ausland bald wieder anreisen. „Dazu brauchen wir aber einen transparenten Impfplan sowie eine bessere Aufklärung, um eine zufriedenstellende Impfrate zu erreichen“, so Mühl.

Homeoffice im Aufwind.

Am besten kommen diejenigen Unternehmen durch die Pandemie, die auf Homeoffice umstellen konnten und so auch ohne Impfungen kaum Produktivitätseinbußen hatten. Diese müssen sich allerdings auf nachhaltig veränderte Arbeitswelten einstellen. So besagt eine Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Integral im Auftrag von Starface, dass ein Drittel der Mitarbeiter im Homeoffice länger arbeitet und nur ein Fünftel kürzer. „Die Lockdowns haben deutlich gemacht, dass digitale Workplaces weiter an Bedeutung gewinnen werden“, sagt Reinhard Hable, Österreich-Chef Starface. „Cloudbasierte Videotelefonie wird auch nach der Pandemie ein Teil unseres Alltags bleiben. Denn sie erspart so manches Face-to-Face-Meeting und damit Zeit wie Geld. Gerade im aktuellen Umfeld ein sehr wichtiger Punkt“, so Hable. Dabei gilt es zu vermeiden, dass die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit noch mehr verwischt werden. Denn auch Urlaub braucht der Mensch – und eine Perspektive für die Zukunft.

Es braucht mehr Tempo – und mehr Kapital.

Auch wenn die Überlastung dort vermieden wird, ist Homeoffice aber eines nicht: ein Allheilmittel gegen die Rezession. Wenn die Kunden ausbleiben, lässt sich zu Hause genauso kein Umsatz generieren wie im Büro oder am Fließband. Daher gilt es, den Fokus auf das endgültige Ende der Lockdowns und Wirtschaftsbeschränkungen zu legen, meint man auch bei der Industriellenvereinigung: „Mittelfristig werden wir uns durch die Pandemie durchtesten können, aus ihr herauskommen werden wir aber nur mittels Impfung“, so IV-Präsident Georg Knill. „Da muss es entschieden mehr Tempo geben. Denn andere Länder sind uns schon weit voraus, was abgesehen von den gesundheitlichen Konsequenzen für die Exportwirtschaft klare Wettbewerbsnachteile und den Verlust von Arbeitsplätzen bedeutet. Neben den bereits definierten Risikogruppen braucht es daher auch für Schlüsselarbeitskräfte eine rasche Impfung“, so Knill. Und ganz wichtig: Es braucht eine „Durchimpfung“ mit Eigenkapital in Form von Steuererleichterungen sowie klaren Anreizen für eine Finanzierung über den Kapitalmarkt: Erst das Umdenken und der Aufbau neuer (Finanzierungs-)Strukturen führen nachhaltig aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise.

Die Top 5 des Krisenmanagements

  1. Eigenkapital stärken, Liquidität freischaufeln. Von Factoring über Mezzaninkapital bis zur Börse: Die Möglichkeiten sind je nach Branche und Unternehmensgröße vielfältig.
  1. Staatshilfen und Förderungen in Anspruch nehmen. Das bedeutet mehr als bloß Kurzarbeit: Auch Garantien oder die Investitionsprämie können zu einer neuen langfristigen Strategie passen.
  1. Digitalisierungsstrategie umsetzen. Ob Produktion, Vertrieb oder Kundenbeziehungen: Digitalisierung ist heute mehr als eine Website und ein Facebook-Auftritt.
  1. Mitarbeiter einbinden. Transparente Kommunikation, Unterstützung bei gesundheitlichen Fragen: Employer Branding muss Chefsache sein.
  1. Externe Beratung nutzen. Das können Unternehmensberatungen sein, aber auch Institutionen wie Banken, Fit4Internet, die Wirtschaftskammer Österreich oder der KSV1870 stehen mit Rat und Tat zur Seite.