Eine Analyse über die Wichtigkeit der Kreditratings und Ratingagenturen für die Wirtschaft sowie Methoden zur Früherkennung von finanziellen Schwierigkeiten und Zahlungsausfällen.
Gastbeitrag von Stefan Fink
Die Verfügbarkeit möglichst vollständiger Information ist für das Funktionieren von Märkten eine der zentralen Anforderungen. Effiziente Märkte sind dadurch gekennzeichnet, dass die Marktteilnehmer auf Basis der zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren Informationen (und Erwartungen) jene Entscheidung treffen, die die Opportunitätskosten minimiert. Jedes Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, ob in Finanz- oder Realwirtschaft, wird unter Unsicherheit getroffen und birgt das Risiko der Nichterfüllung – den Zahlungsausfall. Vor diesem Hintergrund spielen Kreditratings und Ratingagenturen eine zentrale Rolle in der modernen Wirtschaft. Sie bewerten die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen und Staaten, tragen zur Vermeidung beziehungsweise Reduktion von Informationsasymmetrien bei und stärken so das Vertrauen zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern (Jappelli & Pagano, 2002).
Zusammenhang zwischen Konjunktur, volkswirtschaftlichen Entwicklungen und Zahlungsausfällen
Auf makroökonomischer Ebene zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen Zahlungsausfällen und der wirtschaftlichen Dynamik. Wirtschaftliche Aufschwünge verbessern die finanzielle Stabilität von Unternehmen und verringern das Risiko von Zahlungsausfällen. In Phasen des Abschwungs hingegen steigen die Zahlungsausfälle, da Unternehmen und Staaten Schwierigkeiten haben, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Ratingagenturen spielen eine zentrale Rolle, indem sie die Bonität der Kreditnehmer bewerten und so helfen, die Risiken für Investoren zu quantifizieren.
Baltazar et al. (2020) wiesen in einer Studie die Abhängigkeit der Default Rates von makroökonomischen Variablen wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Arbeitslosenquote nach. Laut den Ergebnissen von Stress-Tests, die in der Studie von Baltazar et al. durchgeführt wurden, können makroökonomische Stresssituationen zu einem Anstieg der Zahlungsausfälle von bis zu 30 % im Vergleich zu normalen Bedingungen führen.
Ein Anstieg der Zahlungsausfälle hat weitreichende Folgen für die Volkswirtschaft. Banken sehen sich mit steigenden Verlusten konfrontiert, was ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe einschränkt und somit wiederum die Investitionsdynamik bremst. Jeder Impuls, der beitragen kann, diese Abwärtsdynamik zu bremsen, ist somit für die Stabilisierung sowohl von Finanz- und Finanzierungsmärkten als auch der Konjunktur von großer Bedeutung.
Früherkennung von Zahlungsschwierigkeiten durch Kreditregister und Kreditauskunfteien
Kreditregister und Kreditauskunfteien sammeln und analysieren umfassende Informationen über die Bonität von Privatpersonen, Unternehmen und Staaten und sind damit in zentraler Rolle für die Sicherstellung von Informationsverfügbarkeit und Symmetrie verantwortlich. Diese Daten sind entscheidend für die Früherkennung von finanziellen Schwierigkeiten, die im Endeffekt zu Zahlungsausfällen führen können, und reduzieren somit substanziell das Risiko für kreditvergebende Banken und Unternehmen bei ihren Forderungen gegenüber Kunden, aber auch bei der Einschätzung der Stabilität ihrer Lieferbeziehungen.
Minimierung von Schäden für Banken
Für Banken stellen die Daten der Kreditregister eine wichtige Grundlage dar, um im Rahmen ihres Geschäftsmodells der Kreditvergabe risikoadäquat vorgehen zu können. Kreditratings ermöglichen eine präzisere Risikoeinschätzung und helfen, gefährdete Kreditnehmer frühzeitig zu identifizieren. Obwohl Banken regulatorisch gezwungen sind, eigene Ratingeinstufungen zu vergeben, ist die Anfrage bei einer Kreditauskunftei zumeist der erste Schritt im Rahmen der Geschäftsanbahnung (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 2006, S. 5).
Vorteile für Unternehmen als Kreditnehmer
Umgekehrt sind die Daten der Ratingagenturen besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wichtig, da sie ohne diese Informationen mit erheblich größeren Schwierigkeiten konfrontiert sind, Zugang zu Krediten zu erhalten. Zudem stärkt eine gute Bonitätserklärung die Verhandlungsposition von KMU und reduziert die Finanzierungskosten. Ein Anstieg der verfügbaren Kredite für KMU führt angesichts der Größe und Bedeutung dieses Sektors auch zu steigender Beschäftigung und wirtschaftlichem Wachstum (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 2006, S. 6 und Wendel & Harvey, 2006).
Risikoreduktion für Unternehmen bei Kunden und Zulieferern
Andererseits profitieren Unternehmen von den Informationen der Kreditregister, indem sie die kurzfristig vor Geschäftsabschluss und zu niedrigen Transaktionskosten die Bonität ihrer Geschäftspartner besser einschätzen können. Dies reduziert signifikant das Risiko von Liquiditätsengpässen nach Forderungsausfällen. Auch auf Seite der Zulieferbetriebe helfen die Daten bei der Früherkennung von Problemen bei Zulieferbetrieben. Eine gute Kreditbewertung kann zudem genutzt werden, um günstigere Konditionen bei Lieferanten auszuhandeln und das Geschäftsumfeld zu stabilisieren.
Einfluss von Kreditratings auf Unternehmensverhalten
Zudem führt die Anpassung des Verhaltens von Unternehmen als Reaktion auf Kreditratings dazu, dass Unternehmen ihre Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen sorgfältiger planen, um ihre Ratings zu verbessern oder zu halten. Unternehmen, die von einer Verbesserung ihrer Ratings profitieren, investieren etwa vermehrt in wachstumsfördernde Projekte. Dies führt zu einer stärkeren finanziellen Position, einem stabileren Geschäftsumfeld und einer besseren Kapitalallokation, was letztlich die finanzielle Stabilität und Effizienz im Unternehmen steigert (Kisgen, 2019).
Aktuelle Entwicklungen in der Bonitätsbewertung und volkswirtschaftliche Implikationen
Mit der Digitalisierung und der rascheren und breiteren Verfügbarkeit von bonitätsrelevanten Informationen hat sich die mögliche Datenbasis für die Analysen der Kreditauskunfteien substanziell erweitert. Durch die zusätzliche Verwendung von zukunftsbezogenen makroökonomischen Daten (Forward Looking Information) oder auch die Berücksichtigung von nicht strukturierten (Text-)Daten, beispielsweise aus Medienberichten, ergeben sich neue Möglichkeiten in der Risikomodellierung (Çallı & Coşkun, 2021). Einerseits wird es möglich, noch hochfrequenter und zeitnäher bonitätsrelevante Informationen zu identifizieren und so das Potenzial zur Frühwarnung weiter zu erhöhen. Andererseits steigen durch die breitere Datenbasis die Robustheit und Validität der Ergebnisse, was die Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Granularität der Ratinginformationen erhöht.
Diese Entwicklungen stärken die Rolle der Kreditauskunfteien im Rahmen der Sicherung der finanz- und realwirtschaftlichen Stabilität und tragen zu einer effizienten, nachhaltigen Allokation von Kapital bei (Keller, 2006, S. 44). Risikoaufschläge können dadurch reduziert und Finanzierungskosten gesenkt werden.
Damit können Kreditregister und Auskunfteien zukünftig einen noch wesentlicheren Beitrag zur Konjunktur und zum strukturellen Wirtschaftswachstum und damit zur Resilienz des Standorts leisten.
Zum Autor:
Stefan Fink ist seit 2020 der Chief Economist für KPMG Österreich und verfasst regelmäßig Publikationen zu volkswirtschaftlichen Themen. Er hat sich auf die Bereiche Financial Risk, Economics, Treasury & Modellierungsthemen im Bereich Valuation, Accounting, Data & Analytics und Risk Management spezialisiert. Daneben ist er Professor für Finanz- und Risikomanagement an der FH Oberösterreich am Campus Steyr.
Literaturverzeichnis
Baltazar, J., Reis, J., Amorim, M. (2020). Sustainable economies: Using a macro-economic model to predict how the default rate is affected under economic stress scenarios. Sustainable Futures, Vol. 2, https://doi.org/10.1016/j.sftr.2020.100011.
Çallı, B. K., Coşkun, E. (2021). A Longitudinal Systematic Review of Credit Risk Assessment and Credit Default Predictors. Sage Open, Volume 11, https://doi.org/10.1177/2158244021106133.
Jappelli, T., Pagano, M. (2002). Information sharing, lending and defaults: Cross-country evidence. Journal of Banking & Finance, Vol. 26, https://doi.org/10.1016/S0378-4266(01)00185-6.
Keller, T. (2006). The role and function of rating agencies. In BIS Papers No 26. Developing corporate bond markets in Asia (S. 39–44). Bank for International Settlements.
Kisgen, D. J. (2019). The impact of credit ratings on corporate behavior: Evidence from Moody’s adjustments. Journal of Corporate Finance, Vol. 58, https://doi.org/10.1016/j.jcorpfin.2019.07.002.
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2006). Ratingagenturen: Arbeitsweise, Bedeutung und Auswirkungen. Abgerufen am 10.09.2024 unter https://www.bundestag.de/resource/blob/417412/2cb2e6259842d3af94e71ae218a5aa8d/wf-v-080-06-pdf-data.pdf.
Wendel, C. B., Harvey, M. (2006). SME Credit Scoring: Key Initiatives, Opportunities, and Issues. Access Finance. Abgerufen am 10.09.2024 unter https://documents1.worldbank.org/curated/en/221231468339556964/pdf/389550AF101Wendel1article01PUBLIC1.pdf.