Restschuldbefreiung: zur Speicherdauer bei Kreditauskunfteien

Datenschutz und Bonitätsprüfung: Die Grenzen der Datenspeicherung nach Restschuldbefreiung - eine kritische Betrachtung der EuGH-Entscheidung und deren Auswirkungen auf die Aufbewahrung und Verwendung der Information über die Restschuldbefreiung durch Kreditauskunfteien.

Gastbeitrag von Gerald Trieb

Die Mitgliedsstaaten sind europarechtlich verpflichtet, ein „Insolvenzregister“ einzurichten und darin bestimmte Information über Insolvenzverfahren öffentlich bekanntzumachen.[1] Sie entscheiden auch – vorweggenommen: inhaltlich erheblich voneinander abweichend (!) – über die öffentliche Einsehbarkeit der bekannt gemachten Informationen. In Österreich erfolgt dies in der „Insolvenzdatei“ als Teil der vom BMJ betriebenen „Ediktsdatei“.[2] Bekannt gemacht werden u. a. auch Informationen über Privatpersonen betreffende Schuldenregulierungsverfahren und über Schuldnern erteile Restschuldbefreiungen im Fall der Erfüllung eines Zahlungsplans. § 256 IO befristet die Einsehbarkeit der Information über die Erteilungen einer Restschuldbefreiung mit einem Jahr ab Erfüllung des Zahlungsplans, sofern der Schuldner nicht ein vorzeitiges Ende durch Nachweis der Erfüllung des Zahlungsplans durchsetzt. 

Die Information über die Erteilung einer Restschuldbefreiung ist ein die Bonität natürlicher Personen beeinflussendes Datum. Potenzielle, zukünftige Gläubiger haben ein berechtigtes Interesse an ihrer Kenntnis. Folglich wird sie von Kreditauskunfteien auch bei Berechnung der Bonität von natürlichen Personen berücksichtigt. Erhält daher die Kreditauskunftei die Information über die Erteilungen einer Restschuldbefreiung, fließt diese Information ungeachtet ihrer Quelle in die Berechnung der Bonität ein. Fraglich ist, ob eine zeitlich über die Einsehbarkeit der Information in der Insolvenzdatei hinausgehende Speicherung in Datenbanken von Kreditauskunfteien und folglich Berücksichtigung bei der Bonitätsbewertung datenschutzrechtlich zulässig ist. 

EuGH-Entscheidung zur Datenspeicherung und deren Kritik

Der EuGH hat diese Frage verneint und dies damit begründet, dass mit der Festlegung der Dauer der Einsehbarkeit eine entsprechende Wertung des Gesetzgebers einhergehe und andernfalls die mit dem Ende der öffentlichen Einsehbarkeit der Information über die Erteilung einer Restschuldbefreiung beabsichtigte Ermöglichung der (erneuten) Teilnahme am Wirtschaftsleben der betroffenen Person gefährdet wäre.[3] Eine nähere Begründung seiner Rechtsansicht und insbesondere eine Auseinandersetzung damit, dass die von ihm angesprochene Wertung des Gesetzgebers in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausfällt, sodass die zeitliche Einsehbarkeit dieser Information in den Mitgliedsstaaten erheblich voneinander abweicht, bleibt der EuGH ebenso schuldig wie eine Berücksichtigung und Würdigung anderer europarechtlicher Vorschriften, die eine entsprechende längere Aufbewahrung und Verwendung der Information durch Kreditauskunfteien zwecks Verfügbarkeit für und Verwendung durch ihre Kunden als Gläubiger erfordern und somit datenschutzrechtlich zulässig erscheinen lassen. Der Autor hat sich in zahlreichen in der Zeitschrift für Finanzmarktrecht (ZFR) erschienenen Fachartikeln mit dieser Entscheidung und ihrer Anwendung durch österreichische (Höchst-)Gerichte auseinandergesetzt; diese bilden die Grundlage für den vorliegenden Beitrag und sind sämtlich in Fußnoten zitiert.[4]

VwGH-Urteile und Interessenabwägung im Datenschutz

Eine tiefere Auseinandersetzung mit der Fragestellung ist auch deswegen geboten, weil der VwGH – anders als der OGH[5] – bereits mehrfach[6] die Speicherung von das Schuldenregulierungsverfahren betreffenden Daten aus der Insolvenzdatei durch eine Kreditauskunftei über den Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses des Insolvenzgerichts über die „Löschung der Eintragung aus der Insolvenzdatei“ gem. § 256 IO hinaus für unzulässig befunden hat. Dem VwGH zufolge könne eine entsprechende Speicherung laut der angeführten Judikatur des EuGH nicht auf Art 6 Abs 1 lit f DSGVO (und damit auf berechtigte Interessen des Verantwortlichen und – zu ergänzen – eines Dritten) gestützt werden. 

Begründend führt auch der VwGH aus, dass die Verwirklichung des Anliegens der IO, wonach eine „Löschung“ aus der Insolvenzdatei infolge Erfüllung des Zahlungsplans die Beeinträchtigung des Schuldners im Geschäftsverkehr durch öffentliche Bekanntmachung eines früheren Insolvenzverfahrens vermeiden soll, gefährdet werde, wenn eine Kreditauskunftei zur Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners Daten über sein Insolvenzverfahren speichern und verwenden könnte, nachdem die Einsicht in die Insolvenzdatei nicht mehr zu gewähren ist. Für den VwGH ist dabei entscheidungserheblich, dass diese Daten bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit stets als negativer Faktor verwendet würden. Unter diesen Umständen könnten die berechtigten Interessen des Kreditsektors, über Informationen betreffend das mit Erfüllung des rechtskräftig bestätigten Zahlungsplans beendete Insolvenzverfahren zu verfügen, die Verarbeitung dieser vormals in der Insolvenzdatei öffentlich einsehbaren personenbezogenen Daten nicht mehr rechtfertigen.[7] Ausgehend davon erweise sich die gegenteilige Ansicht[8], wonach sich die höchstzulässige Speicherdauer keineswegs aus der Insolvenzordnung ergebe, als unzutreffend. 

Es ist bedauerlich, dass der VwGH der Rechtsansicht des EuGH bisweilen ohne nähere Auseinandersetzung mit dessen „Begründung“ folgt. Wie der EuGH verkennt der VwGH, dass – wie er jedoch in seinem Erkenntnis zu Ro 2020/04/0031 unzutreffend festgehalten hatte[9] – nicht nur Kreditinstitute ein Interesse daran haben, entsprechende Informationen über das Zahlungsverhalten betroffener Personen über einen längeren Zeitraum für die Beurteilung der Bonität (potenzieller) Geschäftspartner zu verwenden, sondern dies auch auf die für den Betrieb der inkriminierten Datenbanken datenschutzrechtlich verantwortlichen Kreditauskunfteien zutrifft: Kreditauskunfteien haben im Rahmen der Ausübung des zulässigen Gewerbes nach § 152 GewO ein berechtigtes Interesse daran, ihren Kunden, zu denen auch Kreditinstitute gehören, jene Informationen zur Verfügung zu stellen, die Letztere (auch infolge der sie treffenden rechtlichen Verpflichtungen, wie etwa jene nach der CRR[10]) zur Bonitätsbeurteilung benötigen. Eine Verarbeitung personenbezogener Daten auf Grundlage berechtigter Interessen nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO kann nicht nur auf die Verfolgung eigener Interessen der Kreditauskunfteien als Verantwortliche ihrer Datenbanken gestützt werden, sondern auch auf die Verfolgung fremder Interessen Dritter, somit auch von Kreditinstituten als Kunden der Kreditauskunfteien. Folglich wären bei richtiger Rechtsansicht auch die Interessen der Kreditinstitute bei Beurteilung der Zulässigkeit der Speicherungen entsprechender personenbezogener Daten durch Kreditauskunfteien vom VwGH (und auch vom EuGH) zu berücksichtigen gewesen. 

Zudem unterlässt es der VwGH, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, die die Richtigkeit des seinen Erkenntnissen zugrundeliegenden EuGH-Judikats erschüttern: So erweist sich etwa die Ansicht des EuGH als zweifelhaft, der nationale Gesetzgeber habe bei Festlegung der Frist für die öffentliche Einsicht von Informationen in der Insolvenzdatei eine Interessenabwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit an der Kenntnis der Information einerseits und den Interessen der von den Eintragungen betroffenen Personen an ihrer Geheimhaltung andererseits durchgeführt. Diesfalls wäre es nämlich völlig unverständlich und sachlich unbegründet, dass die nationalen Gesetzgeber bei identer Interessenlage zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangen: So beträgt die Frist für die Einsichtsgewährung in Deutschland „nur“ sechs Monate[11] und somit halb so lange wie in Österreich; in Polen bleiben die Informationen hingegen bis zu zehn Jahre einsehbar.[12] Dazu kommt noch, dass auch der österreichische Gesetzgeber ein Interesse Dritter an den Informationen der Insolvenzdatei, auch wenn sie nach § 256 Abs 2 und 3 IO nicht mehr öffentlich einsehbar sind, durch § 219 ZPO bei Vorliegen eines berechtigten Interesses anerkennt.[13] 

Appell an eine erneute Prüfung durch den EuGH

Es bleibt zu hoffen, dass der VwGH (und andere Höchstgerichte) in Zukunft bei Entscheidungen zu ähnlich gelagerten Sachverhalten gewillt sein werden, das Judikat des EuGH zu SCHUFA Restschuldbefreiung durch ein erneutes Ersuchen um Vorabentscheidung einer Überprüfung zuzuführen. Auch wenn nationale Gerichte an Entscheidungen des EuGH gebunden sind,[14] ist insbesondere dem letztinstanzlichen nationalen Gericht nach Art 267 Abs 3 AEUV gestattet, Fragen zur Auslegung von Unionsrecht wie der DSGVO erneut dem EuGH vorzulegen, wenn es von der Rechtsprechung des EuGH abweichen möchte.[15] Ein solches weiteres Vorabentscheidungsverfahren wäre wohl die einzige Möglichkeit, um die undifferenzierte, unzureichend begründete und wenig überzeugende, betreffende Judikatur des EuGH zu beseitigen oder aber dem EuGH die Möglichkeit zu geben, diese zu überdenken oder ausführlicher und überzeugender zu begründen. Eine entsprechende Klarstellung wäre für eine breite Akzeptanz der Rechtsansicht des EuGH wünschenswert wie auch notwendig. 

Zum Autor: 

Dr. Gerald Trieb, LL.M. ist Rechtsanwalt und Gründer der auf Datenschutz und Digitalisierungsrecht spezialisierten Boutique-Kanzlei Knyrim Trieb Rechtsanwälte. Zudem ist er Tagungsleiter der Jahrestagung Datenschutzrecht der MANZ Rechtsakademie, Redaktionsmitglied des Datenschutzkommentars „DatKomm“ im Verlag MANZ, Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Datenschutzrecht und von der International Association of Privacy Professionals (IAPP) geprüfter Certified Information Privacy Professional Europe und Certified Information Privacy Technologist. 


 

[1]     Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, Art 24 f. 

[2]     Abrufbar unter https://edikte.justiz.gv.at/edikte/edikthome.nsf/homeSuche.

[3]     EuGH 7.12.2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung) ZFR 2024/31.

[4]    Links zu diesem Artikel finden sich unter www.kt.at/dr-trieb/ unter der Rubrik „Publikationen“.

[5]     OGH 19.12.2023, 5 Ob 34/23w ZFR 2024/41, 96; siehe dazu: Salomon/Trieb, ZFR 2024/30, 70. 

[6]     VwGH 1.2.2024, Ro 2020/04/0031 ZFR 2024/93, 225, siehe dazu: Salomon/Trieb, ZFR 2024/219; VwGH 22.4.2024, Ro 2022/04/0038, Wolfbauer/Trieb, ZFR 2024/165, 382. 

[7]    VwGH 22.4.2024, Ro 2022/04/0038 Rn 16, Trieb, ZFR 2024/165, 382. 

[8]    BVwG 28.9.2022, W274 2247063-1/6E. 

[9]    VwGH 1.2.2024, Ro 2020/04/0031, ZFR 2024/93 Rn 35.

[10]   Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012 (CRR), Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (Verbraucherkredit-RL) und Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (Wohnimmobilienkredite-RL). 

[11]   § 3 Abs 1 und 2 InsBekV.

[12]   Art 11 des Gesetzes über das Nationale Schuldenregister.

[13]     Siehe dazu: Salomon/Trieb, Anwendung der SCHUFA-Entscheidung des EuGH zur Restschuldbefreiung durch den VwGH, ZFR 2024/219.

[14]     VwGH 28.9.2000, 2000/16/0338. 

[15]     EuGH RS C-283/81 C.I.L.F.I.T., Slg 1982, 3415, RZ 21.