Auf den letzten Metern: Eine Wirtschaftsanalyse

Autor: Ricardo-José Vybiral, CEO KSV1870

Auf den letzten Metern: Eine Wirtschaftsanalyse

Die Frage aller Fragen momentan: Was passiert, wenn die Wirtschaft wieder anläuft? Massensterben oder Bereinigung auf niedrigem Niveau? Eine Analyse der aktuellen Wirtschaftslage aus KSV1870 Sicht.

Es herrscht Zuversicht in der Wirtschaft – und das nicht zu knapp. Laut dem Austrian Business Check bezeichnen drei Viertel der befragten Unternehmen die Stimmungslage als positiv. Man blickt hoffnungsfroh auf die kommenden drei Jahre. Die aktuelle Geschäftslage klassifizieren zudem 45 Prozent als sehr gut oder gut. 28 Prozent geben ein Befriedigend – annehmbar, in Zeiten der wirtschaftlichen Megakrise. So positiv diese Ergebnisse auch sind, die Umsätze schmerzen: Fast 60 Prozent berichten von rückläufigen Zahlen im Vorjahr.

Side note: Wo kaum Umsätze, dort auch kaum offene Rechnungen, das sehen wir im Inkassobereich. All diese Umfrageergebnisse sagen mir, dass die Unternehmen ihren Geschäftsbetrieb angepasst und kostenseitig teils harte Schnitte gesetzt haben. Bei den Lohnkosten, Marketingaufwendungen, Schulungen usw. wurde gekürzt. Manche Branchen haben auf ein Minimum abgerüstet. In Kombination mit staatlichen Eingriffen und Stützen hält sich so die Masse der Betriebe über Wasser. Von diesem Niveau aus blicken sie aber positiv in die Zukunft. Und für alle, die gar nicht oder kaum von der Krise betroffen sind – und die gibt es auch – läuft es ohnehin.

Nicht viel Neues beim Ausfallrisiko

So kommt es, dass in der KSV1870 Wirtschaftsdatenbank 88 Prozent der Betriebe ein gutes Rating und ein geringes Ausfallrisiko aufweisen. Anfang 2020 war der Wert nicht anders. Einzig bei den protokollierten bzw. veröffentlichungspflichtigen Unternehmen gibt es eine geringe Verschiebung in die 400er Klasse. Für den einzelnen nicht optimal, volkswirtschaftlich betrachtet kein Drama. Die Herausforderung bei der Bewertung: Das Ausfallrisiko insbesondere von Unternehmen, die vor Corona solide wirtschafteten, nun aber stillstehen, realistisch einzuschätzen. Gleichzeitig dürfen die Betriebe vom KSV1870 nicht besser gemacht werden als sie sind. In Zeiten, in denen große Teile der Wirtschaft nicht mehr nach den Regeln des Marktes spielen, macht nur mehr eine Individualprüfung Sinn. Daher haben wir ein 100-köpfiges Team im Einsatz, das mit den Unternehmen Kontakt aufnimmt. Es wird genau nachgefragt, wie sie mit den Auswirkungen der Krise umgehen. Welche Maßnahmen haben sie gesetzt? Wurde das Geschäftsmodell angepasst? Wurden Hilfen in Anspruch genommen? usw. Die Ergebnisse fließen in tagaktuell recherchierte Auskünfte – nur so können momentan Unternehmen seriös bewertet werden. Mehr dazu im Artikel von Gerhard Wagner.

Gründeresprit nicht abgetötet

Überraschend ist für mich, dass es die Pandemie zum Glück nicht geschafft hat, den Jungunternehmeresprit in Österreich abzutöten. Aus unserer Datenbank wissen wir, dass die Gründungsaktivität im Vorjahr nicht zurückgegangen ist. Zwar gab es einen Knick rund um den ersten Lockdown, also März und April 2020, jedoch wurde er in den folgenden Monaten wieder kompensiert. Eine gute Nachricht, wäre es doch auch möglich gewesen, dass sich die Gründungswilligen in diesen unsteten Zeiten in sichere Beschäftigungen flüchten. Mit den anhaltend hohen Gründungszahlen – auch im ersten Quartal 2021 – ist sichergestellt, dass das innovative Potenzial der Firmen von morgen nicht verloren geht. Das freut mich auch persönlich. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren in Österreich ein ganz eigener Spirit verbreitet, nämlich, dass es großartig ist, Unternehmer zu sein. Dieses Mindset zu verlieren, wäre ewig schade. Dass es zu keinem Einbruch gekommen ist, hat seine Ursachen sicherlich auch darin, dass sehr viele Gründungen wohl überlegt passieren und nicht ad hoc.

Firmen geben nicht freiwillig auf

Nachdem jede Medaille zwei Seiten hat, gilt es nun auch auf die Kehrseite der Gründungen zu schauen - die Firmenschließungen. Auch hier wurde bisher nicht aufgegeben. Aus dem AB-Check wissen wir, dass aktuell 80 Prozent gänzlich ausschließen, ihr Unternehmen im laufenden Jahr zuzusperren. Die These, dass pandemiebedingt mehr Unternehmen als in einem normalen Jahr „den Hut draufhauen“, wird durch die Zahl der Schließungen laut Wirtschaftsdatenbank nicht bestätigt. Tatsächlich sind die Schließungen 2020 sogar rückläufig – um rund 19 Prozent. Das sagt mir, dass es für einen Teil der Unternehmen, die eigentlich schließen würden, momentan lukrativer ist im Markt zu bleiben. Möglicherweise um die Liquiditätsspritzen des Staates noch „mitnehmen“? Wenn dem so ist, dann ist dieses Geld verloren und geht am Zweck der Staatshilfen vorbei. Ein vergleichbares Phänomen zeigt sich auch bei den Insolvenzen, die überspitzt ausgedrückt, momentan durch Abwesenheit glänzen.

Insolvenzzahlen von Politik geschaffen

Wie nie zuvor hat der Staat in den Insolvenzbereich eingegriffen. Und zwar indem er die Antragspflicht bei Überschuldung bis aktuell Ende Juni ausgesetzt hat. Ziel war es - wie es scheint -, jene Unternehmen „hinüberzuretten“, die vor der Pandemie gesund waren. Dies um den Preis, dass jene, die auch ohne die Auswirkungen der Pandemie pleite gegangen wären, am Leben gehalten wurden. Dieser Bodensatz an Unternehmen fehlt 2020 und bisher auch 2021 in der Statistik, wird aber früher oder später im Gericht aufschlagen.

Unternehmen in Schieflage warten mit der Insolvenzanmeldung zu lange. Sie verbrauchen ihre letzten Mittel und verbauen sich dadurch die Chance auf eine Sanierung.

Darüber hinaus hat das Aussetzen der Antragspflicht dazu geführt, dass Unternehmen in Schieflage nun mit der Insolvenzanmeldung zu lange warten. Sie verbrauchen ihre letzten liquiden Mittel und verbauen sich dadurch die Chance auf eine Sanierung. Das, obwohl der Gesetzgeber Sanierungen im Rahmen des Insolvenzrechtes jetzt innerhalb von drei statt bisher zwei Jahren ermöglicht. Doch die Chance für eine längere Entschuldung wird nicht wahrgenommen. Im Ergebnis sehen wir Insolvenzzahlen, die von einer normalen Entwicklung völlig abgekoppelt sind. Sie wurden politisch geschaffen und das bedeutet minus 40 Prozent im Vorjahr und minus 58 Prozent im ersten Quartal 2021.

Öffnung: die Zeit drängt

Obwohl in den Medien immer wieder zu lesen war, dass die Hilfen nicht zügig genug ausbezahlt werden, Unternehmen nicht berücksichtigt würden oder überhaupt andere Maßnahmen besser wären, verraten uns die Zahlen, dass die Wirtschaft insgesamt bisher vor einem harten Aufprall bewahrt wurde. Allerdings befinden sich die Unternehmen in den besonders betroffenen Branchen im luftleeren Raum. Tut die Schwerkraft wieder ihre Wirkung, dann kommt es zumindest zu einer Bereinigung, deren Ausmaß schwer abzuschätzen ist. Im Insolvenzbereich rechnen wir mit keinem Massensterben. Dennoch wird es für viele Unternehmen aktuell knapp. Laut Umfrage gehen in den nächsten drei Monaten mehr als einem Viertel der Befragten die liquiden Mittel aus oder sind bereits aufgebraucht. Am Leben halten sie die staatlichen Stützen. Es ist also höchste Eisenbahn, dass die Betriebe wieder arbeiten können, sonst werden viele den Aufschwung nicht finanzieren können. Die von der Regierung Mitte Mai angekündigten Öffnungsschritte kommen also keinen Tag zu früh. Steht zu hoffen, dass die Infektionszahlen das Comeback zulassen.

Sind noch Reserven da?

Aber wie wird es werden, wenn alle Wirtschaftsbereiche wieder auf Hochtouren arbeiten? Eine nicht unwesentliche Frage wird sein, wie und wann die Nachfrage zurückkommt. Positive Vorzeichen sind die hohe Sparquote, nicht ausgegebene Urlaubs- und Weihnachtsgelder sowie unterbliebene Ratenkäufe aufgrund der Lockdowns. In manchen Bereichen wie etwa Luftfahrt oder Städtereisen wird es sich voraussichtlich hinziehen. Eine weitere Kernfrage wird sein, ob es noch genug Liquidität in den Unternehmen gibt, um den Aufschwung finanzieren zu können – Stichwort Wareneinkauf. Zwar hat das Eigenkapital laut unserer Umfrage etwas gelitten, jedoch haben viele Betriebe in den Jahren davor dicke Pölster aufgebaut. Laut Wirtschaftsdatenbank ist das durchschnittliche Eigenkapital jener Firmen, deren Quote positiv war, in den vergangenen fünf Jahren um 3,7 Prozent auf 51,6 Prozent (2019) angewachsen. Wir gehen aber auch davon aus, dass die Banken, die in ihrem Handlungsspielraum aufgrund massiver Regulierungen eingeschränkt sind, der Wirtschaft als Partner für kurzfristige Anschubfinanzierungen zur Verfügung stehen werden.

Comeback-Plan als Zukunftsinvestment

Entscheidend wird sein, wie lange der Staat an den Liquiditätsspritzen festhält. Vom WIFO war zuletzt zu hören, dass die Gelder noch in der ersten Phase des Neustarts ausbezahlt werden sollen, damit der Aufschwung nicht gleich wieder erstickt wird. Denn auch wenn es Ratenvereinbarungen für Stundungen geben soll – Zahlungen müssen geleistet werden. In dieser Hinsicht wäre es wünschenswert, schnell konstante und hohe Umsätze einzufahren. Dass Österreichs Wirtschaft, insbesondere die KMU, eher auf Ertragssicherheit und weniger auf die Umsetzung von aggressiven Wachstumsstrategien gepolt sind, erscheint hier nachteilig. Aber, es soll ja auch noch einen Comeback-Plan der österreichischen Bundesregierung geben. Optimalerweise einen, der den Namen verdient und eine Investition in die Zukunft darstellt. Es braucht einen großen Wurf und keine Einzelmaßnahmen, die tröpfchenweise kommuniziert werden. Der Fokus auf Beschäftigung, Digitalisierung und Ökologisierung ist gut, aber es müssen auch die alten Probleme wie Bürokratie und die hohe Abgabenquote angegangen werden.