Abschöpfungsverfahren und Herausgabe einer vom Schuldner geerbten Liegenschaft

Das Rekursverfahren bei Einstellung des Abschöpfungsverfahrens ist einseitig. Im Abschöpfungsverfahren hat der Schuldner Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, herauszugeben. Das betrifft auch eine Liegenschaft, auf der er wohnt, ohne dass er sich auf seinen Wohnbedarf berufen kann. Da selbst eine Krankheit des Schuldners der Verwertung der Vermögenssubstanz nicht im Wege steht, ändert sie nichts an der Herausgabeobliegenheit. Dem Schuldner kann aber die Verweigerung der Herausgabe der Liegenschaft nicht als Verschulden angelastet werden, wenn damit eine Gefährdung seiner Gesundheit verbunden wäre. Verfügt der Schuldner über ausreichendes Einkommen, um eine Wohnung anzumieten, ist eine solche Gefährdung jedoch in aller Regel auszuschließen.

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des ErstG vom 18. April 2017 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Nach Scheitern des Zahlungsplans leitete das ErstG mit Beschluss vom 25. Oktober 2018 das Abschöpfungsverfahren ein. Der Schuldner ist seit März 2018 ohne Beschäftigung und beim Arbeitsmarktservice als arbeitssuchend gemeldet. Seit März 2022 bewirbt er sich nicht mehr auf offene Stellen, weil er an einer Gleichgewichts- und Gangstörung leidet. Der Schuldner bezieht seit Oktober 2022 Krankengeld. Im Jahr 2019 erbte der Schuldner gemeinsam mit seiner Schwester jene Liegenschaft, die er seit jeher bewohnt. Trotz Belehrung über seine Obliegenheiten verweigert der Schuldner die Herausgabe des Liegenschaftsanteils und den Umzug in eine Mietwohnung. Die Gläubigerin V*AG beantragte am 1. März 2023 die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens.

Das Erstgericht stellte das Abschöpfungsverfahren nach § 211 Abs 1 Z 2 IO vorzeitig ein, weil der Schuldner den von Todes wegen erworbenen Liegenschaftsanteil nach § 210 Abs 1 Z 2 IO herausgeben hätte müssen. Das Rekursgericht hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem ErstG die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Im Hinblick auf § 105 Abs 2 EO sei es dem Schuldner nicht als Verschulden anzulasten, wenn er den Liegenschaftsanteil wegen einer Gesundheitsgefährdung, die mit dem Verlust seiner Wohnung verbunden wäre, nicht herausgibt. Auch in einem solchen Fall müsse der Schuldner die Liegenschaft aber herausgeben, wenn ihm der Käufer ein Wohnrecht zugesteht. Das ErstG müsse deshalb ergänzende Feststellungen zu einer allfälligen Gesundheitsgefährdung durch den Verlust der Wohnung und zum Inhalt der Kaufanbote treffen. Der Rekurs der Gläubigerin hatte Erfolg.

Aus der Begründung des OGH

1. Nach § 260 Abs 4 IO ist das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen – mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens und der im Gesetz genannten Sonderfälle – grundsätzlich einseitig (RIS-Justiz RS0116129 [T2]). Dies gilt auch für den Beschluss, mit dem ein Abschöpfungsverfahren nach § 211 IO eingestellt wird (8 Ob 83/19t). Auch aus Gründen der „Waffengleichheit“ besteht keine Veranlassung, dem Schuldner die Möglichkeit einer Rekursbeantwortung einzuräumen, weil er seinen rechtlichen Standpunkt bereits im eigenen Rechtsmittel vor dem Rekursgericht ausführlich dargelegt hat (RIS-Justiz RS0118686 [T17]).

2. Im Abschöpfungsverfahren hat der Schuldner nach § 210 Abs 1 Z 2 IO Vermögen, das er während der Rechtswirksamkeit der Abtretungserklärung von Todes wegen erwirbt, herauszugeben. Die Herausgabe des Vermögenswerts kann nicht erzwungen werden (8 Ob 3/08m; Schoditsch in KLS, IO2 § 210 Rz 14 ). Verletzt der Schuldner diese Obliegenheiten aber schuldhaft und beeinträchtigt dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger, ist das Abschöpfungsverfahren auf Antrag eines Insolvenzgläubigers nach § 211 Abs 1 Z 2 IO vorzeitig einzustellen, sodass der Schuldner nicht in den Genuss der Restschuldbefreiung nach § 213 IO kommt. 

3. Die Obliegenheit des § 210 Abs 1 Z 2 IO hat den Zweck, Vermögen für die Befriedigung der Insolvenzgläubiger heranzuziehen. Nach Ansicht des Gesetzgebers wäre es nämlich unbillig, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu gewähren, ohne dass er dieses Vermögen antasten muss (ErläutRV 1218 BlgNR 18. GP 33). Das österreichische Insolvenzrecht kennt auch keinen Grundsatz, wonach das Haus oder die Wohnung des Schuldners nicht verwertet werden dürfte (Kodek, Privatkonkurs3 8.40; Zoppel in KLS, IO2 § 5 Rz 16 ). Dementsprechend kann sich der Schuldner bei ererbten Liegenschaften auch nicht auf seinen Wohnbedarf berufen (Schneider, Liegenschaftsverwertung im Abschöpfungsverfahren, ZIK 2021/127, 122; Posani, Das Wohnrecht des Schuldners in der Insolvenz, ZIK 2023/52, 57). Für die Begründung eines Wohnrechts zugunsten des Schuldners, wie dies vom Rekursgericht angedacht wurde, fehlt im Insolvenzverfahren die Rechtsgrundlage.

4. Das Rekursgericht stützt sich auf § 105 Abs 2 EO, wonach Kranke in der Zwangsverwaltung nicht zur Räumung der Wohnung angehalten werden können, solange sie diese nicht ohne Gefährdung ihrer Gesundheit verlassen können. Nach § 5 Abs 3 IO ist diese Vorschrift im Insolvenzverfahren sinngemäß anzuwenden, wenn der Schuldner in einem zur Insolvenzmasse gehörigen Haus wohnt. Auch im Insolvenzverfahren beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 105 EO aber auf die Verwaltung der Insolvenzmasse und steht der Verwertung der Vermögenssubstanz durch kridamäßige Versteigerung oder freihändigen Verkauf nach stRsp nicht im Wege (RIS-Justiz RS0002541).

5. Dem Rekursgericht ist aber zuzustimmen, dass gegebenenfalls dem Schuldner die Verweigerung der Herausgabe des Liegenschaftsanteils nicht als Verschulden angelastet werden könnte, wenn damit eine Gefährdung seiner Gesundheit verbunden wäre. Verfügt der Schuldner über ausreichendes Einkommen, um eine Wohnung anzumieten, ist eine solche Gefährdung jedoch in aller Regel auszuschließen. Nach § 254 Abs 5 IO hat das G von Amts wegen zu erheben, ob den Schuldner ein Verschulden trifft (RIS-Justiz RS0114731). Die Pflicht des G zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhalts endet aber dort, wo ein Vorbringen der Parteien überhaupt nicht vorliegt (RIS-Justiz RS0083783; Mann-Kommenda in Konecny, Insolvenzgesetze § 254 IO Rz 47). Da der Schuldner gar nicht behauptet hat, dass der Umzug in eine Mietwohnung seine Gesundheit gefährden würde, und sich dafür auch sonst keine Hinweise ergeben haben, verantwortet er eine schuldhafte Verletzung der Obliegenheit nach § 210 Abs 1 Z 2 IO, die eine vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens nach § 211 Abs 1 Z 2 IO rechtfertigt.

 

ZIK 2024/142
IO: § 210 Abs 1 Z 2, §§ 211, 260 
OGH 17.11.2023, 8 Ob 104/23m 

 

Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 02/2025.