Globale Krisen und Inflation setzen Märkte unter Druck. Europa steckt in der Flaute, auch Österreich. 2025 zählt das Land zu den wachstumsschwächsten Volkswirtschaften Europas. Die Frage lautet: Wie behauptet sich der Standort in Zukunft?
Text: Stephan Scoppetta
Die globale Wirtschaft steht unter Druck: Inflation, geopolitische Spannungen, Energiewende und Demografie belasten Unternehmen und Märkte. Chinas Wachstum verliert an Dynamik, Europa ringt mit schwachem Wachstum, und der Krieg in der Ukraine hält die Energiepreise hoch. Und Österreich steckt mittendrin: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist in den ersten drei Quartalen 2025 laut KSV1870 um rund 5 % gestiegen, die Industrie kämpft mit historisch hohen Energiekosten, und das BIP stagniert. Laut EU-Kommission steht Österreich 2025 vor einem BIP-Rückgang von 0,3 %, während die Eurozone um rund 0,9 % wächst – das macht Österreich zu einem der wachstumsschwächsten Länder Europas. Hinzu kommen hohe Zinsen und schwache Exportmärkte. Das WIFO spricht von einer „anhaltenden Rezession“, die OeNB sogar von der längsten seit 1945. Was als Energiekrise begann, entwickelte sich durch Lohn- und Preisspiralen zu einer endogenen Inflationskrise. Die „Omnikrise“ hat Österreich fest im Griff – sie ist Belastung, aber zugleich auch Chance für einen notwendigen Umbruch.
Es gibt den Reform- und Innovationspfad, der die Wettbewerbsfähigkeit stärkt – und es gibt das Szenario von Stillstand und Stagnation.
Zwei Szenarien: Reform oder Stillstand.
Michael Peneder, Senior Economist und stellvertretender Direktor des WIFO, zeichnet in seinem aktuellen Buch „Wirtschaftsstandort Österreich: Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Entwicklung“ zwei mögliche Entwicklungspfade. Er sagt dazu: „Es gibt den Reform- und Innovationspfad, der die Wettbewerbsfähigkeit stärkt – und es gibt das Szenario von Stillstand und Stagnation. Die entscheidenden Weichen müssen bis 2030 gestellt sein.“ Als Schlüsselfragen für die Zukunft Österreichs nennt er drei Punkte: die Verfügbarkeit von Fachkräften, stabile Preisentwicklung und den technologischen Wandel. Zudem müsse klar sein, dass sozialer Zusammenhalt ein zentraler Produktivfaktor ist. „Wir sind einfallsreicher und anpassungsfähiger, als es oft dargestellt wird. Aber wir müssen den Mut haben, jetzt einen Modernisierungsschub zu wagen“, betont Peneder.
Arbeitsmarkt im Umbruch – Zahlen und Trends.
Während die großen Linien bis 2045 schwer absehbar sind, liefert das AMS konkrete Prognosen bis 2029. „Wir erwarten ab 2026 eine spürbare Belebung der Konjunktur mit einem durchschnittlichen jährlichen BIP-Wachstum von 0,7 %“, erklärt AMS-Vorständin Petra Draxl. Bis Ende des Jahrzehnts soll die Zahl der unselbstständig Beschäftigten um 110.400 steigen – auf über vier Millionen. Wachstumstreiber sind vor allem das Gesundheits- und Sozialwesen (+ 37.600 Personen), die öffentliche Verwaltung und Sozialversicherungen (+ 22.000) sowie wissenschaftliche Dienstleistungen (+ 19.000). Diese Entwicklungen verdeutlichen den tiefgreifenden Strukturwandel des Arbeitsmarkts. Zugleich treten die demografischen Brüche deutlich zutage: Mehr als 700.000 Babyboomer scheiden aus dem Erwerbsleben aus. „Der Arbeitsmarkt bleibt insgesamt stabil, aber er steht vor tiefgreifenden Veränderungen – insbesondere durch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen infolge der Anhebung des Pensionsalters“, so Draxl.
Strukturwandel durch Technologie – Gewinner und Verlierer.
Klaus Weyerstraß, Senior Researcher am Institut für Höhere Studien (IHS), sieht einen anhaltenden Rückgang industrieller Wertschöpfung bis 2045: „Der Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaft wird weiter sinken, während Dienstleistungen wachsen – getrieben durch Digitalisierung und Demografie.“ Künstliche Intelligenz werde die Produktivität steigern, gleichzeitig aber einfache Arbeitsplätze gefährden. Österreich werde zwar von Automatisierung profitieren, doch die entscheidenden KI-Entwicklungen lägen weiterhin in den USA und Asien. Gewinner sind laut Weyerstraß das Gesundheitswesen, Green-Tech-Sektoren und Nischen wie der „grüne Stahl“. Verlierer hingegen energieintensive Branchen und Teile der Automobilzulieferung. „Wenn Österreich vorne mitspielen will, muss es heute den Ausbau der Erneuerbaren, eine arbeitsmarktorientierte Migrationspolitik und den Abbau bürokratischer Hürden vorantreiben“, so Weyerstraß.
Österreich zwischen Risiko und Chance.
Die jüngsten Krisen haben die Schwachstellen des Standorts schonungslos offengelegt. Gleichzeitig hat sich die Anpassungsfähigkeit vieler Unternehmen gezeigt. Peneder mahnt zu Zuversicht: „Ein gewisser Optimismus ist Teil der mentalen Hygiene. Jammern hilft nicht – entscheidend ist, ob wir Krisen nutzen, um stärker zu werden.“ Für die Industrie heißt das: Investitionen in Forschung, Resilienz und neue Geschäftsmodelle sind unverzichtbar. Die Ostöffnung der 1990er-Jahre und die EU‑Erweiterungen ab 2004 zeigen, dass vermeintliche Bedrohungen in Chancen verwandelt werden können – wenn Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen.
Österreich 2035: Arbeitsmarkt und Strukturwandel.
Im Jahr 2035 wird Österreich eine alternde Gesellschaft mit knapper werdenden Fachkräften sein. Laut AMS wird das Arbeitskräfteangebot nur langsam wachsen, und die Präferenz für Teilzeit wird das Bild prägen. Moderates Wachstum, steigende Produktivität durch Automatisierung und ein stärkerer Dienstleistungssektor kennzeichnen die Wirtschaft. Österreich könnte in der Digitalisierung, der Pflege und im Gesundheitswesen punkten, wenn es gelingt, die richtigen Weichen zu stellen. Misslingt dies, drohen Fachkräftemangel, Investitionsschwäche und wachsende Abhängigkeit von internationalen Konzernen.
Österreich 2045: Perspektiven und Weichenstellungen.
2045 wird die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs entscheidend davon abhängen, ob in den kommenden fünf Jahren Mut zu Reformen bewiesen wird. „Die Weichen bis 2030 sind entscheidend. Ohne Reformen droht die Industrie abzuwandern – mit Reformen können wir im Bereich grüner Technologien und in Nischen wie energieeffizientem Maschinenbau vorne mitspielen“, betont Weyerstraß. Peneder sieht in höheren Forschungsleistungen und Innovationsfähigkeit eine Chance, langfristig internationale Stärke zu entwickeln. Schon heute gibt Österreich 3,35 % des BIP für Forschung und Entwicklung aus und liegt damit im europäischen Spitzenfeld. Entscheidend sei nun, ob diese Investitionen auch in Patente, Produkte und Märkte münden.
Noch stärker ins Gewicht fallen geopolitische und europäische Dimensionen. Weyerstraß verweist auf die zunehmende Konkurrenz aus dem Reich der Mitte: „China hat in den vergangenen Jahren technologisch aufgeholt und macht Österreich wie auch Deutschland bei traditionellen Exportstärken Konkurrenz.“ Dazu kommen strukturelle Nachteile Europas bei den Energiekosten: „Solange die USA auf billige fossile Energien setzen und Asien ebenfalls günstigere Energiepreise bietet, werden die energieintensiven Branchen in Europa unter Druck bleiben.“ Das WIFO ergänzt, dass ein zügiger Ausbau der Erneuerbaren und beschleunigte Genehmigungsverfahren notwendig sind, um diesen Nachteil abzufedern.
Österreich: Land der Chancen?
Doch die Alpenrepublik hat auch Möglichkeiten in Sachen First Mover: Österreich könnte 2045 etwa Vorreiter bei grünen Technologien sein, von emissionsarmen Produktionsprozessen über klimafreundliche Baustoffe bis hin zu Energieeffizienztechnologien. Auch im Maschinenbau – insbesondere bei Prozesstechnologien – bestehen Nischenchancen. Allerdings mahnt das IHS, dass Österreich bei Digitalisierung und KI-Entwicklung Gefahr läuft, in Rückstand zu geraten. Die europäische Ebene spielt dabei eine Schlüsselrolle: Nur mit einer tieferen Kapitalmarktunion, neuen Freihandelsabkommen und einer konsequenten Energie- und Klimapolitik könne Österreich seine Wettbewerbsfähigkeit langfristig absichern.
Reformfelder – von Bildung bis Energie.
Alle Experten verweisen auf ähnliche Handlungsfelder: Bürokratieabbau, eine funktionierende Zuwanderungspolitik, Investitionen in Bildung und Forschung sowie ein stärker entwickelter Kapitalmarkt. Fachkräftemangel gilt laut WIFO als größtes Investitionshemmnis. Im Bereich Kapitalmarkt hinkt Österreich im europäischen Vergleich hinterher: Die Marktkapitalisierung liegt deutlich unter dem EU-Schnitt, und auch Risikokapital ist rar. Dabei ist die Energiefrage zentral. Weyerstraß warnt: „Verzögerungen bei der Dekarbonisierung könnten unsere Energiekosten dauerhaft höher halten als in den USA oder Asien.“ Österreich brauche nicht nur technologieoffene Ansätze, sondern auch verlässliche Rahmenbedingungen, um Unternehmen Planungssicherheit zu geben. Besonders die Energiewende erfordert rasche Genehmigungsverfahren, massiven Netzausbau und Investitionen in Wind- und Wasserkraft.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt als Standortfaktor.
Ein zukunftsfähiger Standort ist ohne sozialen Ausgleich nicht denkbar. Peneder betont, dass Sozialstaat und Wettbewerbsfähigkeit kein Widerspruch sind: „Der soziale Zusammenhalt ist ein Produktivfaktor. Ausbildung, Qualifikation und Gesundheit der Arbeitskräfte hängen unmittelbar davon ab.“ In Zeiten der Omnikrise zeigt sich: Ökonomische Stärke erfordert gesellschaftliche Stabilität. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexible Arbeitsmodelle und eine bessere Kinderbetreuung sind Voraussetzungen, um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen und den Standort resilient(er) zu machen.
Ausblick: Österreichs Zukunft ist gestaltbar.
Österreich steckt tief in der Omnikrise – gleichzeitig ist diese Dauerkrise auch eine Chance. Die kommenden Jahre sind entscheidend, um die Weichen zu stellen. Wenn wir jetzt nicht die Kurve bekommen und Reformen umsetzen, verspielen wir unsere Zukunft. Viele Experten vermitteln Zuversicht und betonen, dass Österreich über die Stärke verfügt, die Herausforderungen zu meistern. Peneder: „Österreich hat die Fähigkeit, aus Krisen gestärkt hervorzugehen – wenn wir den Mut zu Reformen und Innovation aufbringen.“ Dieses visionäre Selbstvertrauen könnte der Schlüssel für die kommenden Jahrzehnte sein.
Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 03/2025.