Die Lage ist besser, als es scheint

Die Inflation, die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine belasten die heimische Volkswirtschaft. Doch der Arbeitsmarkt ist robust, der Inlandskonsum noch stabil und die Unternehmen besser aufgestellt als erwartet. Der Ausblick liegt zwischen Stagflation und leichtem Wachstum.

Text: Stephan Scoppetta

Das Jahr 2022 war schwierig, aber das Wachstum fulminant. IHS-Chef Klaus Neusser meinte bei der Präsentation der Herbstprognose von Wifo und IHS: „Die Zahlen sind besser als die Stimmung. Vor allem im Vergleich mit dem Ausland, wo die Rezession bereits zuschlägt.“ Dem stimmte im Rahmen der Pressekonferenz auch Wifo-Chef Gabriel Felbermayr zu: „Wir werden heuer auf ein Wachstum von 4,8 % kommen. Das ist ein sattes Wachstum, das in der OECD nur von wenigen Ländern überboten wird.“ Zum Vergleich: Der wichtigste Handelspartner Deutschland wird 2022 nur ein Wachstum von 1,6 % verzeichnen können. Ausschlaggebend für die gute Konjunktur war das erste Halbjahr 2022. In der zweiten Jahreshälfte habe sich laut den Ökonomen das Wachstum deutlich eingebremst, und 2023 drohe eine Stagflation. Die Wirtschaftsleistung solle laut Prognose von knapp 5 % 2022 auf ein kleines Wachstum von nur noch 0,2 bis 0,3 % im Jahr 2023 fallen. Gleichzeitig wird die Inflation jedoch mit 6,5 % (Wifo) beziehungsweise 6,8 (IHS) deutlich über dem von der EZB anvisierten Ziel von 2 % liegen.

Kaum Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Die aktuelle Verschlechterung der konjunkturellen Situation hat bisher noch keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Laut AMS betrug die Arbeitslosenquote Ende Oktober 6 %. Das ist der niedrigste Oktoberwert seit 14 Jahren. Die Wirtschaftsforscher sind zwar überzeugt davon, dass diese in den nächsten Monaten wieder steigen, aber deutlich unter dem Peak in der Corona-Krise von 9 % liegen wird. Um die Reallohnverluste durch die Inflation auszugleichen, kämpfen die Vertreter der Arbeitnehmerverbände für höhere Kollektivvertragsabschlüsse. In der Metalltechnischen Industrie wurde für die Mitarbeiter der Branche bei den heurigen Verhandlungen im Schnitt eine Erhöhung der Ist-Löhne um 7,4 % ausgehandelt. Deutlich über der Inflation liegt der Abschluss für die Sozialwirtschaft. Die Sozialpartner einigten sich für Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialbereich auf eine Gehaltserhöhung von bis zu 10,2 %. In vielen Branchen wird noch hart verhandelt, und auch hier werden hohe Abschlüsse, die einen Inflationsausgleich für die Arbeitnehmer mit sich bringen, erwartet.

Großes Aber: Arbeitskräftemangel auch 2023.

Kein vernünftiger Unternehmer hat beim aktuellen Personalmangel etwas davon, wenn sich die Beschäftigten nicht mehr das Leben leisten können. Insofern sind die Lohnsteigerungen jedenfalls in Ordnung.

Ein zentraler Aspekt wird jedoch auch im kommenden Jahr der akute Bedarf an gut ausgebildetem Personal sein. Dabei werden etwa auch auf die Personaldienstleister des Landes einige Herausforderungen zukommen. Dazu Klaus Lercher, CEO der TTI Group: „Mittlerweile sind mehr als 4.000 Menschen in der TTI Group beschäftigt. Als Personaldienstleister ist es für uns essenziell, unsere Teams im Unternehmen zu halten.“ Das Thema Lohnverhandlungen sieht er dabei als weniger problematisch: „Kein vernünftiger Unternehmer hat beim aktuellen Personalmangel etwas davon, wenn sich die Beschäftigten nicht mehr das Leben leisten können. Insofern sind die Lohnsteigerungen jedenfalls in Ordnung. Doch die Lohnsteigerungen sind gar nicht das Thema, sondern ausreichend qualifiziertes und arbeitswilliges Personal zu finden. Darin liegt die Herausforderung.“

Österreichische Wirtschaft ist robust.

Betrachtet man das Gesamtbild, gibt es aus wirtschaftlicher Sicht jedenfalls einige positive Aspekte, die auch für das kommende Jahr nicht übersehen werden sollten. Willi Cernko, CEO der Erste Group: „Die Regierungen Österreichs und einiger osteuropäischer Staaten haben die Märkte in der Covid-Krise mit vielen Hilfspaketen, also mit viel Geld, geflutet. Das zeigt sich in den Zahlen vieler Unternehmen, die gestärkt aus den Krisenjahren hervorgehen.“ Auch wegen der Staatsschuldenquote brauche man sich aktuell noch keine Sorgen zu machen. Cernko: „In Österreich liegt diese derzeit bei etwa 78 % des Bruttoinlandsproduktes. Das gibt uns den Spielraum, der Inflation sowie der Energiekrise entsprechend zu begegnen.“ 2023 werde es laut Cernko zwar über zwei, vielleicht sogar auch drei Quartale ein negatives Wirtschaftswachstum geben, aber die Wirtschaft werde im kommenden Jahr mit einem kleinen positiven Wachstum abschließen können. „Insgesamt erwarten wir aktuell für die CEE-Region ein Wachstum von +0,7 %. Und auch die Inflationsrate wird wieder etwas sinken. Es dürfte aber noch länger dauern, bis sich diese wieder auf einem – von der Europäischen Zentralbank – gewünschten Niveau von 2 % bewegen wird“, so Cernko.

Optimistischer Ausblick.

Laut Austrian Business Check des KSV1870 schließen rund zwei Drittel der heimischen Betriebe das laufende Geschäftsjahr mit Gewinn ab. In diese Richtung schlägt auch AT&S, das von einer Krise wenig spürt. Das Geschäftsjahr 2021/22 war mit 1,6 Milliarden Euro Umsatz das erfolgreichste in der Unternehmensgeschichte. Andreas Gerstenmayer, CEO von AT&S: „Unser Unternehmen befindet sich nach wie vor auf Wachstumskurs, im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2022/23 verbesserte sich der Konzernumsatz um 53 % auf 1.070 Millionen Euro. Durch unsere strategische Positionierung im Markt und den Einsatz der Mitarbeiter weltweit haben wir auch die gegenwärtigen Herausforderungen gut überstanden.“ Von den hohen Energiepreisen ist AT&S durch die globale Struktur am meisten in Österreich betroffen. Der Energiepreisanstieg an den Standorten in Asien fällt moderater aus als hierzulande. Gerstenmayer: „Die Lohnkostensteigerungen sind natürlich ein sehr belastender Faktor, der sich global abbildet. Dieser wird noch dadurch verstärkt, dass sich die Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften auch international deutlich verstärkt hat.“ Für das nächste Jahr ist man bei AT&S gut gerüstet. „Auch wenn es zu einer Zwischenkonsolidierung in manchen Bereichen der Mikroelektronik kommen kann, sind wir sehr zuversichtlich, dass der Markt mittelfristig signifikante Wachstumspotenziale bietet“, so Gerstenmayer. Aber die österreichische Politik ist gefordert, mehr für den Standort zu tun. „Europa und Österreich müssen mit klugen Investitionen in Bildung, Forschung und Industrie dafür sorgen, dass wir den Anschluss bei Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik nicht verlieren. In Österreich sind wir bei der Identifikation und Unterstützung derartiger Zukunftsbereiche deutlich zu zögerlich“, so Gerstenmayer.

Auftragsbücher noch immer voll.

Auch beim österreichischen Technologieriesen Kapsch sind die Weichen auf Zukunft gestellt. Georg Kapsch, Vorstandsvorsitzender Kapsch TrafficCom: „Wir sehen wieder eine Markterholung von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, und es wird mit Nachbestellungen und neuen Projekten im Laufe des Jahres 2023 gerechnet.“ In Norwegen beispielsweise testet Kapsch TrafficCom eine landesweite satellitengestützte Mautlösung, mit der man über eine App genaue Mautsätze berechnen und direkt abbuchen kann, ohne eine Vignette kaufen oder etwa an Mautstationen warten zu müssen. Die hohen Energiepreise werden bei Kapsch TrafficCom kaum Auswirkungen haben. Kapsch: „Wir sind in unserer Produktion glücklicherweise nur in geringen Maßen vom Energiepreis abhängig. Die Inflation wirkt sich auf uns wie auf alle anderen Marktteilnehmer aus – das bestärkt uns in unserer Entscheidung, im zweiten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres, in das auch das erste Quartal des Jahres 2023 fällt, den Fokus auf Kostendisziplin und Preisanpassungen zu legen.“

 

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