30 Jahre Europäische Union

Für den einen gilt sie als regulierungswütiger Moloch, für den anderen als Garant für sozialen Frieden und Wohlstand – an der EU scheiden sich die Geister. Dass Österreich wirtschaftlich stark vom Beitritt profitiert hat, stellt hingegen niemand ernsthaft infrage.

Text: Raimund Lang

Am 7. Februar 1992 wurde die EU, wie wir sie heute kennen, völkerrechtlich in Form gegossen. Damals unterzeichneten in der niederländischen Stadt Maastricht die Staats- und Regierungschefs der zwölf Mitgliedsstaaten den sogenannten „Vertrag über die Europäische Union“, kurz auch als „Maastricht-Vertrag“ bekannt. Sein Inkrafttreten im November 1993 jährt sich heuer zum 30. Mal. Mit dem Maastricht-Vertrag, der die damals bereits fast 36 Jahre alten Römischen Verträge ersetzte bzw. abänderte, wurde die Voraussetzung für das moderne Antlitz Europas geschaffen. Die aus wirtschaftlicher Sicht wesentlichsten Inhalte des Vertrages waren die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes, die Einführung einer einheitlichen Währung („Euro“) sowie die neue Unionsbürgerschaft. Letztere räumt jedem Bürger eines EU-Mitgliedsstaates bestimmte Rechte in allen anderen Mitgliedsstaaten ein. Zum Beispiel das Recht, einen Wohnsitz zu begründen, eine Arbeit anzunehmen, oder das Recht, kommunale Vertretungen zu wählen.

Kleinere Länder profitieren stärker. 

Speziell Österreich versteht sich als klarer Profiteur, insbesondere seit dem EU-Beitritt mit 1. Jänner 1995.

Obwohl von Anfang an Gegenstand vehementer Kritik seitens politisch einschlägig punzierter Seiten, werden die Effekte der EU-Entwicklung rückblickend meist als volkswirtschaftlich positiv gesehen. Speziell Österreich versteht sich als klarer Profiteur, insbesondere seit dem EU-Beitritt mit 1. Jänner 1995. Die für Österreich wohl augenfälligste Auswirkung zeigt sich in der Handelsbilanz. Der Wert der österreichischen Warenexporte lag zuletzt (2022) bei knapp 195 Milliarden Euro. 68,7 % aller Exporte gehen in die EU, sechs der zehn wichtigsten Handelspartner sind EU-Mitglieder. Diese Zahlen zeigen die enorme Bedeutung, die der Binnenmarkt für das Exportland Österreich hat. Mit den 13 mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten ist die Handelsbilanz (+4,2 Milliarden Euro) sogar positiv (zum Vergleich: Die Bilanz mit den EU-14 weist ein Defizit von 10,8 Milliarden Euro auf). Die Exportquote hat sich zwischen den Jahren 1995 und 2022 von 33,6 % auf 60,8 % fast verdoppelt. Zudem ist die Anzahl österreichischer Unternehmen mit Exporttätigkeit von rund 12.000 im Jahr der Ostöffnung (1989) auf heute rund 63.200 angestiegen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2019 steigt als direkte Folge der Teilnahme am Binnenmarkt außerdem das Einkommen jedes EU-Bürgers pro Jahr um durchschnittlich 840 Euro. Betrachtet werden dabei sowohl ganze Länder als auch Regionen. So beträgt dieser Wert in Zürich 3.592 Euro und in Brüssel 2.473 Euro. Deutlich überdurchschnittlich sind aber auch die österreichischen Bundesländer Vorarlberg mit 2.062 Euro und Salzburg mit 2.038 Euro. Insgesamt stellt die Studie fest, dass vor allem kleinere, exportintensive Länder vom Binnenmarkt profitieren. 

Fördervielfalt als Plus. 

Zu den am häufigsten bemühten Kritikpunkten gehört die Feststellung, dass Österreich ein sogenannter „Nettozahler“ ist. Es ist zwar richtig, dass der jährliche Beitrag der Alpenrepublik zum EU-Haushalt die direkten Rückflüsse um etwa 600 Millionen Euro übersteigt. Diese Betrachtungsweise ignoriert aber einerseits Effekte der Umwegrentabilität durch den Wegfall von Importkosten und bürokratischen Hürden. Andererseits die Langzeitfolgen durch EU-Investitionen in Österreich. So unterstützt die EU die Entwicklung der Landwirtschaft bzw. allgemein des ländlichen Raums im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Ab 2023 ersetzt der von der Europäischen Kommission genehmigte „Österreichische GAP-Strategieplan“ die bisherige Förderung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), aus dessen Topf von 2014 bis 2022 jährlich etwa 1,1 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung standen. Die Maßnahmen reichen von direkten Einkommensstützungen für Landwirte bis hin zu Projekten zur Förderung der Artenvielfalt. In Summe stehen für die Periode 2023 bis 2027 rund 8,8 Milliarden Euro bereit. Weitere Mittel gibt es aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) und dem neuen Fonds für einen gerechteren Übergang (JTF). Aus diesen drei Quellen sind von 2021 bis 2027 mehr als eine Milliarde Euro für Österreich vorgesehen.

Kaum weniger wichtig sind die EU-Förderungen von Forschung und Entwicklung. Das aktuelle EU-Rahmenprogramm „Horizon Europe“ ist für die Periode 2021 bis 2027 mit 95,5 Milliarden Euro dotiert. Österreich ist traditionell erfolgreich beim Einwerben von Drittmitteln. Laut aktuellem Forschungs- und Technologiebericht, der jährlich im Auftrag von Wissenschafts-, Umwelt- und Arbeitsministerium erstellt wird, konnten österreichische Forschungseinrichtungen im ersten Programmjahr 3,4 % der verteilten Fördergelder lukrieren. 

Gut zu wissen!
Auch Unternehmen haben die Möglichkeit, sich bei der Europäischen Union Förderungen abzuholen. Eine gute erste Anlaufstelle sind die Webseiten „Your Europe“ und der Europäischen Kommission. Aber Achtung: Es braucht ein wenig Zeit, bis man sich auf den nicht ganz übersichtlich gestalteten Internetauftritten zurechtfindet. Damit bestätigt sich am Ende dann doch noch ein viel gehörter Kritikpunkt an der EU – und zwar, dass sie nicht ganz unkompliziert sei.

 

 Aus dem KSV1870 Magazin forum.ksv - Ausgabe 3/2023.